Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Die verlustbringende Veräußerung eines Kapitalgesellschaftsanteils i.S.d. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG an einen Mitgesellschafter ist nicht deshalb rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 42 AO, weil der Veräußerer in engem zeitlichen Zusammenhang von einem anderen Mitgesellschafter dessen in gleicher Höhe bestehenden Gesellschaftsanteil an derselben Gesellschaft erwirbt.
Normenkette
§ 17 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 4, Abs. 4 EStG 2001, § 42 S. 1 AO
Sachverhalt
Der wesentliche Sachverhalt wurde schon in den Praxis-Hinweisen vorgestellt, weil man sonst das Problem gar nicht versteht. Im Einzelnen: Aufgrund der negativen Börsenentwicklung betrug das in Wertpapieren angelegte Vermögen der GmbH (Stammkapital 350 000 DM) zum 31.12.2001 nur noch 94 575,73 DM. Vor diesem Hintergrund veräußerten sechs der sieben Gesellschafter der GmbH 2001 ihre jeweilige Beteiligung von 14,29 % zum Kaufpreis i.H.v. 7 500 EUR reihum an einen Mitgesellschafter und erwarben zeitgleich wieder eine Beteiligung in gleicher Höhe von einem jeweils anderen Mitgesellschafter. So veräußerte auch K mit notariell beurkundetem Vertrag vom 17.12.2001 seine Beteiligung an den Gesellschafter M und erwarb mit Notarvertrag vom selben Tag eine Beteiligung in gleicher Höhe von einem anderen Gesellschafter.
Den Veräußerungs- und Erwerbsvorgängen lagen die einstimmigen Beschlüsse der außerordentlichen Gesellschafterversammlungen zugrunde. Nach den Veräußerungs- und Erwerbsvorgängen waren alle Gesellschafter wiederum mit 14,29 %, d.h. mit derselben Beteiligungsquote wie vor den Veräußerungen an der GmbH beteiligt.
Die jeweils erklärten Verluste aus der Veräußerung erkannten weder FA noch FG wegen Gestaltungsmissbrauchs gem. § 42 AO an (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.02.2009, 4 K 1078/05, Haufe-Index 2228433, EFG 2010, 99).
Entscheidung
Das sah der BFH aus den in den Praxis-Hinweisen ersichtlichen Gründen anders. Er gab der Klage statt und berücksichtigte die geltend gemachten Verluste.
Hinweis
Können Gesellschafter einer GmbH durch Gestaltungen Verluste nutzen? Der Fall betrifft eine im Jahr 2000 gegründete GmbH, die fast ausschließlich mit Aktien am neuen Markt handelte und deren Vermögen sich aufgrund der negativen Börsenentwicklung drastisch minderte. Vor diesem Hintergrund veräußerten die Gesellschafter der GmbH im Jahr 2001 ihre jeweilige Beteiligung i.S.d. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG mit Verlust reihum an einen Mitgesellschafter und erwarben zeitgleich wieder eine Beteiligung in gleicher Höhe von einem jeweils anderen Gesellschafter.
1. Der BFH sah hierin keinen Gestaltungsmissbrauch. Dem Gesellschafter stand es frei, ob, wann und an wen er seine Anteile an der GmbH veräußert. Liegt keine der in § 17 Abs. 2 S. 6 EStG ausdrücklich geregelten Verlustabzugsbeschränkung vor, sind Veräußerungsverluste entsprechend dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen.
2. Der gewählte Weg des Anteilsverkaufs zur Verlustnutzung ist nach der Wertung des Steuerrechts auch nicht ungewöhnlicher als etwa der einer Liquidation, da nach § 17 Abs. 4 EStG die Rückzahlung des Gesellschaftsvermögens anlässlich der Liquidation einer Kapitalgesellschaft wie eine Anteilsveräußerung behandelt wird.
3. Es ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der Gesellschafter im zeitlichen Zusammenhang mit der Veräußerung wiederum Anteile an derselben GmbH in gleichem Umfang von einem Mitgesellschafter erwirbt. Diese Vorgänge heben sich nämlich nicht auf. Vielmehr ändert sich durch den erneuten Anteilserwerb die steuerrechtliche Ausgangslage: Bei einer späteren Veräußerung dieser Anteile oder bei einer Liquidation der GmbH ist der Gewinn oder Verlust unter Berücksichtigung der niedrigeren Anschaffungskosten zu ermitteln.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 07.12.2010 – IX R 40/09