Prof. Dr. Andreas Herlinghaus
Leitsatz
1. Wird in einem Grundstückskaufvertrag ein vom nachträglichen Eintritt bestimmter Ereignisse abhängiges Rücktrittsrecht vereinbart, unterfällt die Ausübung dieses Rechts bei vollständiger Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs dem § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG und unterliegt daher nicht der Zweijahresfrist der Nr. 1 der Vorschrift.
2. Ist ein solches Rücktrittsrecht befristet vereinbart, bleibt es trotz ggf. mehrfach noch innerhalb der laufenden Frist erfolgter Verlängerung bestehen, wenn jeweils wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ein Anspruch auf Vertragsanpassung in Gestalt einer Fristverlängerung bestand.
3. Ist die vereinbarte Frist für die Ausübung eines derartigen Rücktrittsrechts erst einmal verstrichen, stellt eine dennoch vereinbarte "Fristverlängerung" die Begründung eines neuen Rücktrittsrechts dar. Ihm kommt nur Bedeutung zu, wenn sowohl die Neubegründung als auch die Ausübung dieses Rechts noch innerhalb der Zweijahresfrist des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfolgt.
Normenkette
§ 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG, § 242, § 313 Abs. 2 BGB
Sachverhalt
Die Klägerin schloss am 29.09.1999 mit einem größeren Unternehmen einen Vertrag über den Kauf einer noch zu vermessenden Teilfläche eines unerschlossenen Grundstücks, um darauf Wohnhäuser zu errichten. Die Erschließung der Teilfläche sollte über die Restfläche erfolgen. Die Klägerin sollte mit der Stadt einen Erschließungsvertrag über die Gesamtfläche schließen, in den die Verkäuferin eintreten sollte. Sollte das Erschließungs- bzw. Bauvorhaben scheitern, so stand der Klägerin ein bis zum 28.02.2000 auszuübendes Rücktrittsrecht zu. Bei Abschluss des Grundstückskaufvertrags war die Verkäuferin vollmachtlos vertreten und genehmigte die Erklärungen des Vertreters am 27.10.1999.
Das FA setze am 07.01.2000 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer fest, die allerdings am 28.01.2004 die Aufhebung des Bescheids beantragte. Dies lag daran, dass die Erschließung und das Bauvorhaben gescheitert und deshalb der Kaufvertrag nicht vollzogen worden war. Eine zugunsten der Klägerin eingetragene Auflassungsvormerkung wurde wieder gelöscht. In der Zwischenzeit war die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts mehrfach Gegenstand weiterer notarieller Urkunden, mit denen sie jeweils hinausgeschoben wurde. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Vorgänge:
- Urkunde vom 28.02.2000 – Fristverlängerung bis 31.12.2000 und Abhängigmachung der Kaufpreisfälligkeit von der Erteilung der Baugenehmigung
- Urkunde vom 20.12.2000 – Fristverlängerung bis 30.09.2001
- Urkunde vom 27.09.2002 – Fristverlängerung bis 15.09.2003
Bei Beurkundung dieser Fristverlängerungen war die Verkäuferin jeweils vollmachtlos vertreten. Eine Genehmigung lag aber nur bezüglich der zweiten und dritten Urkunde vor.
Das FA lehnte die Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung ab, weil der Antrag nicht innerhalb der Festsetzungsfrist gestellt worden sei. Diese Einschätzung bestätigte es im Einspruchsverfahren und lehnte zugleich Billigkeitsmaßnahmen nach §§ 163, 227 AO ab.
Auch die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das FG (FG Münster, Urteil vom 19.11.2007, 8 K 2562/05 GrE, Haufe-Index 1967029, EFG 2008, 877) verneinte einen Aufhebungsanspruch der Klägerin. § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG sei nicht einschlägig, weil die darin vorgeschriebene Zweijahresfrist nicht eingehalten sei. § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG sei nicht anwendbar, da es an einem zivilrechtlichen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gefehlt habe. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO greife nicht ein, weil der Kaufvertrag nicht nachträglich – etwa durch Anfechtung – unwirksam geworden sei; auch lägen keine Ermessensfehler hinsichtlich der Verweigerung der beantragten Billigkeitsmaßnahmen vor.
Entscheidung
Dem folgte im Ergebnis der BFH und wies die Revision der Klägerin als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Hinsichtlich der Rückgängigmachung von Erwerbsvorgängen nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 GrEStG bestehen in der Praxis oftmals Abgrenzungsschwierigkeiten. Diese löst nunmehr der BFH anknüpfend an eine bereits in der Literatur vertretene Meinung (Sack in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 16. Aufl. 2007, § 16 Rz. 36) dahin gehend auf, dass der eigentliche Unterschied der Tatbestände darin zu sehen ist, dass bei § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG an eine Rückgängigmachung gedacht ist, die jederzeit durch Ausübung eines vorbehaltenen und an keine weiteren Voraussetzungen gebundenen Rücktrittsrechts herbeigeführt werden kann, während bei der Nr. 2 der Vorschrift die Möglichkeit zum Rücktritt erst aufgrund nachträglich eingetretener Umstände entsteht. Ein Problem besteht allerdings insoweit, als sich ein vom nachträglichen Eintritt bestimmter Ereignisse abhängiges Rücktrittsrecht auch vertraglich vereinbaren lässt. Diese Fälle – so jetzt ausdrücklich der BFH – unterfallen bei vollständiger Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG.
2. Im Streitfall kommt folgende – aus Sicht des betroffenen Beraters besonders ärgerliche – Besonderheit hinzu: Hätten die Ve...