Entscheidungsstichwort (Thema)
Festsetzungsverjährung - Voraussetzungen des § 171 Abs. 14 AO
Leitsatz (redaktionell)
Gegen die Bestimmung des § 171 Abs. 14 AO bestehen keine verfassungsmäßigen Bedenken. Nach Sinn und Zweck dieser Bestimmung muß dem Leistungsverweigerungsrecht dessen, der sich vor Zahlung auf die Unwirksamkeit der Bekanntgabe einer Steuerfestsetzung beruft, ein Rückforderungsrecht desjenigen entsprechen, der trotz Unwirksamkeit der Steuerfestsetzung Zahlung geleistet hat. Die Ablaufhemmung soll die nachträgliche Festsetzung gerade dort ermöglichen, wo die zur Zahlung führende Festsetzung unwirksam war. Der vom Bundesfinanzhof im Urteil VII R 50/95 (BStBl 1997 II 556) entschiedene Sachverhalt unterscheidet sich von dem vorliegenden Fall der Zahlung auf einen insgesamt unwirksamen Bescheid.
Normenkette
AO § 171 Abs. 4, § 37 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger ist Alleinerbe seines im September 1991 verstorbenen Vaters. Der Erblasser wurde aus unbekannten Gründen nur bis 1977 vom Finanzamt (FA) zur Einkommensteuer (ESt) herangezogen, ab 1978 wurden die Steuerakten gelöscht. Die alten Akten sind vernichtet worden.
Durch eine Kontrollmitteilung der Erbschaftsteuerstelle erhielt das FA Kenntnis von der Höhe des Vermögens des Verstorbenen und forderte den Kläger zur Abgabe von Steuererklärungen seit 1986 auf. Aufgrund der Angaben des Klägers ergingen u. a. folgende ESt- Bescheide:
ESt-Bescheid 1986 vom 9. August 1994 über 819,00 DM ESt-Bescheid 1987 vom 29. Juli 1994 über 1.271,00 DM ESt-Bescheid 1988 vom 29. Juli 1994 über 2.732,00 DM.
Sämtliche Bescheide waren an den Erblasser gerichtet, der Kläger war darin nicht erwähnt. Der Kläger bezahlte 1994 die festgesetzten Beträge.
Im Folgenden bemühte sich der Kläger u. a. mit einer Petition an den Schleswig-Holsteinischen Landtag erfolglos um Erstattung der seines Erachtens zu Unrecht geleisteten Zahlungen. Es sei ihm nicht anzulasten, dass sein Vater zu Lebzeiten nicht zu Steuerzahlungen herangezogen worden sei.
Mit Schreiben vom 20. Februar 1998 räumte das FA ein, die ESt- Bescheide 1986 bis 1988 seien dem Kläger nicht wirksam bekannt gegeben worden. Die Festsetzung könne jedoch nachgeholt werden, solange ein Erstattungsanspruch noch nicht verjährt sei (§ 171 Abs. 14 Abgabenordnung - AO -).
Am 12. März 1998 erließ das FA mit den Erstbescheiden inhaltsgleiche ESt-Bescheide für die Jahre 1986 bis 1988, die dem Kläger als Rechtsnachfolger seines Vaters bekannt gegeben wurden. Die dagegen gerichteten Einsprüche, mit denen der Kläger die Verfassungswidrigkeit des § 171 Abs. 14 AO rügte, wies das FA als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 1998). Die Klage ist am 25. Juni 1998 bei dem Gericht eingegangen.
Der Kläger meint, § 171 Abs. 14 AO verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip aus Artikel 20 des Grundgesetzes (GG) und gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 Abs. 1 GG (vgl. Koops / Scharfenberg, Das Schicksal geleisteter Einkommensteuervorauszahlungen im Fall der Verjährung der Jahressteuerschuld, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1995, m S. 552, 555). Durch § 171 Abs. 14 AO werde das Verjährungssystem der AO in wesentlichen Teilen und ohne rechtliche Begründung systemwidrig unterlaufen. Die Norm bewirke bei unwirksamen Steuerbescheiden gegenüber dem zahlenden Steuerpflichtigen eine Rechtswidrigkeitssperre für staatliches Handeln. Behördliches Fehlverhalten werde so undifferenziert auf den Bürger abgewälzt. Diese Verantwortungsumkehr widerspreche den Grundsätzen rechtsstaatlichen Handelns. Steuerpflichtige, die keine Zahlungen leisten, würden durch die Vorschrift zudem ungerechtfertigt besser behandelt. Für sie gelte weiterhin die Festsetzungsverjährung des § 169 AO. Das widerspreche dem Gleichbelastungsgebot. Durch § 171 Abs. 14 AO werde der zahlende Steuerpflichtige schutzlos gestellt, obwohl er schutzwürdiger sei als der nicht zahlende.
Der Kläger regt an, das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 171 Abs. 14 AO mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Er beantragt, die ESt-Bescheide 1986, 1987 und 1988 vom 12. März 1998 sowie die Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 1998 aufzuheben und das FA zu verurteilen, die darauf gezahlten Steuern zu erstatten.
Das beklagte FA beantragt, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist teilweise begründet. Der ESt-Bescheid für 1986 war aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -), weil er nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen ist. Eine leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) kann mangels tatsächlicher Feststellungen nicht angenommen werden. Im Übrigen ist die Klage nicht begründet. Soweit sich aus der Aufhebung des ESt-Bescheides für 1986 zu Gunsten des Klägers ein Erstattungsanspruch gegen das FA ergibt, kann dieser vor bestandskräftiger Feststellung nicht im Wege der allgemeinen Leistungsklage durchgesetzt werden. Im Übrigen war zum maßgebliche...