Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessensfehlerhafte Ablehnung des Erlasses einer Kindergeldrückforderung - Berücksichtigung einer unzureichenden Behördenzusammenarbeit
Leitsatz (amtlich)
Die Ablehnung des Erlasses einer Kindergeldrückforderung ist ermessensfehlerhaft, wenn sie allein auf eine Verletzung von Informationspflichten gemäß § 68 Abs. 1 EStG gestützt ist, obwohl der Kindergeldempfänger den das Kindergeld anrechnenden Sozialleistungsträger ordnungsgemäß über den kindergeldrelevanten Sachverhalt informiert hat (entgegen Abschnitt V 25 DA-KG 2016). Bei der Entscheidung über den Erlassantrag gemäß § 227 AO sind die jeweiligen Verursachungsbeiträge von Kindergeldempfänger, Familienkasse und Sozialleistungsträger abzuwägen. Dabei ist auch eine unzureichende Behördenzusammenarbeit zu berücksichtigen.
Normenkette
AO § 227; FGO § 102; EStG § 68 Abs. 2, § 74 Abs. 2; SGB II § 11; SGB X § 102
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Billigkeitserlass einer Kindergeldrückforderung unter dem Gesichtspunkt der Anrechnung des Kindergeldes auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II.
Die Klägerin ist die Mutter des am XX.XX.XXXX geborenen F. Sie lebte mit F und vier weiteren Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft, für die sie Sozialleistungen nach dem SGB II bezog. Das gesamte Kindergeld wurde als Einkommen gemäß § 11 SGB II auf die Sozialleistungen angerechnet. F begann zum 01.08.2013 eine Ausbildung. Am 31.07.2014 wurde er aufgrund eines Haftbefehls in Untersuchungshaft genommen. Am 16.06.2015 verurteilte ihn das Landgericht B rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe. Durch Bescheid vom 25.11.2015 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für F ab dem Monat September 2014 auf und forderte die Klägerin zur Rückerstattung im Zeitraum September 2014 bis Juli 2015 für F und die weiteren Kinder aufgrund niedrigerer Ordnungszahl gemäß § 66 Einkommensteuergesetz (EStG) überzahlten Kindergeldes in Höhe von 2.393 € auf. Mit Anwaltsschriftsatz vom 01.12.2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) den Erlass der Rückforderung aus Billigkeitsgründen: Die Klägerin sei nicht bereichert. Die von ihr erhaltenen Kindergeldleistungen seien während des gesamten Rückforderungszeitraums als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft berücksichtigt worden. Das der Klägerin gewährte Arbeitslosengeld (ALG) II sei entsprechend gekürzt worden. Eine nachträgliche Korrektur der Kürzung des ALG II sei nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte nicht möglich. Die Klägerin habe zudem mit einer Entlassung des nicht vorbestraften Kindes und einer Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses gerechnet. Der Ausbildungsbetrieb habe nämlich fortwährend erklärt, F bei einer Haftentlassung wieder einzustellen. Mit Bescheid vom 21.12.2015 erließ die Beklagte die Kindergeldrückforderung für den Monat September 2014 in Höhe von 184 € aufgrund sachlicher Unbilligkeit und lehnte den weitergehenden Erlassantrag ab: Die restliche Überzahlung des Kindergeldes in Höhe von 2.209 € beruhe auf einer Verletzung von Mitwirkungspflichten. Die Klägerin habe es pflichtwidrig unterlassen, der Familienkasse rechtzeitig die Inhaftierung ihres Kindes mitzuteilen. Der Erlass für den ersten Rückforderungsmonat werde nur deshalb ausgesprochen, weil die Überzahlung auch bei rechtzeitiger Mitwirkung nicht vermeidbar gewesen wäre. Den Einspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2016 zurück: Es sei nicht nachgewiesen, dass im verbliebenen Rückforderungszeitraum die SGB II Leistungen der Bedarfsgemeinschaft wegen des für F gezahlten Kindergeldes gekürzt worden seien. Letztlich komme es hierauf aber auch nicht an, weil die Klägerin die Überzahlung des Kindergeldes selbst zu vertreten habe, indem sie es pflichtwidrig versäumt habe, den Ausbildungsabbruch des F rechtzeitig der Familienkasse mitzuteilen.
Mit der am 26.02.2016 erhobenen Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:
Die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass gemäß § 227 AO seien gegeben. Die durchgängige Anrechnung des Kindergeldes auf die SGB II Leistungen der Bedarfsgemeinschaft werde durch die als Anlage 1 vorgelegten Bescheide des Jobcenters belegt. Die Klägerin habe sich auch nicht pflichtwidrig verhalten. Sie habe das Jobcenter bereits im August 2014 von der Inhaftierung ihres Sohnes informiert. Dieses habe F dann aus der Bedarfsgemeinschaft herausgenommen. Einen Hinweis darauf, dass sie parallel dazu auch die Familienkasse informieren müsse, habe sie vom Jobcenter nicht erhalten. Dem Jobcenter müsse sogar positiv bekannt gewesen sein, dass die Familienkasse nicht über die Inhaftierung des F informiert gewesen sei, weil die Klägerin das Kindergeld auch in der Folgezeit weiter vereinnahmt habe und es dann auf die Sozialleistungen angerechnet worden sei. Die mangelhafte Kommunikation zwischen den beteiligten Behörden könne der Klägerin nicht angelastet werden. Sow...