Entscheidungsstichwort (Thema)
Außergewöhnliche Belastung bei eigenem Vermögen behinderter Kinder
Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen von Eltern erwachsener behinderter Kinder für eine vollstationäre Heimunterbringung und/oder für soziale Integrationsmaßnahmen stellen grundsätzlich eine außergewöhnliche Belastung dar. Voraussetzung ist jedoch, dass das Kind kein oder nur ein geringes Vermögen besitzt. Die für den Kindergeldanspruch anerkannte Nichtanrechnung des Kindesvermögens ist auf den Bereich der Sonderausgaben wegen der anderweitigen Regelungen nicht übertragbar. Eine andere Beurteilung ist jedenfalls für das Streitjahr 1998 auch nicht im Hinblick auf die durch § 92 Abs. 2 SGB XII für den Bereich der Eingliederungshilfe angeordnete Vermögensschonung gerechtfertigt. Denn diese Regelung ist erst ab 2005 in Kraft getreten.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, §§ 33, 33a Abs. 1 S. 3, § 33b Abs. 3, 6; SGB XII § 92 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob Unterhaltsaufwendungen für ein volljähriges behindertes Kind unabhängig vom Kindesvermögen als außergewöhnliche Belastung im Sinne der §§ 33 ff. Einkommensteuergesetz (EStG) anzuerkennen sind.
Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Ihre im Jahre 1975 geborene Tochter ... (nachfolgend A) leidet am Down-Syndrom. Die Kläger erhalten deshalb für sie einen Kinderfreibetrag. A ist schwerbehindert mit dem Merkzeichen "H" und befand sich im Streitjahr in einer sozialtherapeutischen Hofgemeinschaft. Darüber hinaus nahm sie an verschiedenen Integrationsmaßnahmen teil. Nach den Angaben der Kläger fielen hierfür abzüglich des vereinnahmten Pflegegeldes sowie der Verpflegungskosten Aufwendungen in Höhe von 77.104 DM an, welche von ihnen getragen worden seien. Sie begehren eine steuerliche Anerkennung dieser Kosten als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG. Der Beklagte - das Finanzamt (FA) - lehnte dies mit geändertem ESt-Bescheid 1998 vom 14. Oktober 2003 ab. Er berücksichtigte lediglich die Pflegepauschbeträge gemäß § 33 b Abs. 3 und 6 EStG. Dabei ließ er sich von der Erwägung leiten, dass A eigenes Vermögen habe. Es handelt sich hierbei um ein Mehrfamilienhaus mit einem Einheitswert von 128.700 DM. In den Jahren 1998 - 2000 betrugen die Mieteinnahmen jeweils ca. 50.000 DM. Die Einkünfte der A aus Vermietung und Verpachtung waren im Streitjahr jedoch negativ (./. 10.486 DM). Das FA wies den Einspruch der Kläger mit Einspruchsentscheidung vom 23. Juni 2004 zurück: Es bestehe lediglich ein Wahlrecht zwischen dem Ansatz der Pauschbeträge und einer individuellen Berechnung. Eine kumulative Berücksichtigung scheide aus. Unabhängig davon seien die Unterhaltsaufwendungen mit Rücksicht auf das verwertbare Mehrfamilienhaus der A nicht zwangsläufig.
Mit der am 26. Juli 2004 erhobenen Klage machen die Kläger im Wesentlichen geltend:
Die vom FA vertretene Rechtsposition sei unter den vorliegenden besonderen Umständen nicht nur wirtschaftlich und fiskalisch unvernünftig, sondern auch behindertenfeindlich und deshalb unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben nicht haltbar. Das Mehrfamilienhaus sei der A im Jahre 1993 von ihrem Großvater geschenkt worden, um ihr eine ausreichende Altersversorgung zu geben. Eine Veräußerung würde diese Erwägung vereiteln und auch wirtschaftlich wenig Sinn machen, zumal die Marktlage schwierig und das Haus in ungünstiger Lage in ... belegen sei. Es könnte deshalb maximal ein Verkaufserlös in Höhe von 200.000 € erzielt werden. Dieser würde mit Rücksicht auf die hohen Betreuungs- und Integrationskosten in kürzester Zeit aufgebraucht sein. Die Entscheidungspraxis der Finanzämter führe dazu, dass Menschen mit Behinderungen künstlich arm gehalten werden müssten. Dies sei mit ihrem besonderen Schutzbedürfnis und den Geboten des Sozialstaatsprinzip unvereinbar. Dementsprechend habe der Gesetzgeber zwischenzeitlich reagiert und die Rechtsstellung behinderter Menschen durch die Sozialgesetzbücher (SGB) IX und XII deutlich erweitert und verbessert. So sei z.B. in § 92 Abs. 2 SGB XII geregelt, dass Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben von den Sozialbehörden ohne Vermögensanrechnung übernommen würden. Es seien vom Teilnehmer lediglich die anteiligen Kosten des Lebensunterhalts zu tragen. Diese Wertungen seien auch für das Steuerrecht maßgeblich. So sei denn auch für den Bereich des Kindergeldes anerkannt, dass dieses für volljährige behinderte Kinder ohne Vermögensanrechnung zu gewähren sei.
Die Kläger haben zunächst beantragt,
den geänderten ESt-Bescheid 1998 vom 14. Oktober 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. Juni 2004 mit der Maßgabe zu ändern, dass außergewöhnliche Belastungen in Höhe von insgesamt 77.114 DM anzuerkennen sind und die ESt 1998 entsprechend niedriger festzusetzen.
Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens erging aus hier nicht relevanten Gründen am 6. Januar 2006 ein...