Leitsatz
1. Für die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Belastung durch Einkommen- und Gewerbeertragsteuer besteht keine Bindung gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an den Vermögensteuerbeschluß des BVerfG vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 – Leitsatz 3, sog. Halbteilungsgrundsatz).
2. Eine Belastung mit Einkommen- und Gewerbeertragsteuer von insgesamt rd. 60 % des zu versteuernden Einkommens ist nicht verfassungswidrig.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, , GG Art. 14 Abs. 1, , GG Art. 14 Abs. 2, , GG Art. 100 Abs. 1 Satz 1 , BVerfGG § 31 Abs. 1, , BVerfGG § 31 Abs. 2 , EStG § 32a , GewStG § 11
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 11.08.1999, XI R 77/97
Die Entscheidung XI R 77/97 betrifft Ehegatten (Kläger), die auf der Grundlage eines zu versteuernden Einkommens von 622.878 DM zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Einkommensteuer wurde mit 260.262 DM, die Kirchensteuer mit 23.3396 DM festgesetzt. Zusätzlich erhob die Gemeinde Gewerbeertragsteuer in Höhe von 113.170 DM. Die Belastung mit Einkommensteuer, Kirchensteuer und Gewerbeertragsteuer betrug – bezogen auf den Gesamtbetrag der Einkünfte – 61,19 %. Die Kläger hatten geltend gemacht, diese Besteuerung verstoße gegen das vom BVerfG mit Beschluß v. 22.6.1995, 2 BvL 37/91 (BStBl 1995 II S. 655) ausgesprochene Übermaßverbot , soweit die Gesamtbelastung mit Ertragsteuern 50 % des Gesamtbetrags der Einkünfte übersteige.
Dieser Auffassung ist der BFH nicht gefolgt. Bei seiner Entscheidung über die streitige Einkommensteuer sei er an den genannten Beschluß des BVerfG nicht gebunden . Die in Gesetzeskraft erwachsene Entscheidungsformel dieses Beschlusses habe nur für die Vermögensteuer Bedeutung (vgl. § 31 Abs. 2 BVerfGG). Eine Bindung des BFH für das vorliegende Verfahren folge auch nicht aus § 31 Abs. 1 BVerfGG. Nach dieser Vorschrift seien zwar die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder, sowie alle Gerichte und Behörden an die Entscheidungen des BVerfG gebunden. Da aber Streitgegenstand des BVerfG-Beschlusses v. 22.6.1995 2 BvL 37/91 die Verfassungsmäßigkeit der Vermögensteuer war, hätten die Ausführungen des BVerfG zur Steuerbelastung für die Beurteilung der Einkommen- und Gewerbeertragsteuer keine bindende Wirkung.
Einen Anlaß, den Streitfall dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG zur Überprüfung der Steuerbelastung durch Einkommen- und weitere Ertragsteuern vorzulegen, sieht der BFH nicht. Er „vermag dem Grundgesetz kein Gebot zu entnehmen, die Steuern auf das Einkommen und den Gewerbeertrag auf höchstens 50 % zu begrenzen”. Die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) werde durch die Steuerpflicht nur ausnahmsweise berührt, wenn sie den Pflichtigen übermäßig belaste und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtige. Davon sei aber nur dann auszugehen, wenn die Belastung über jedes Maß ansteige und damit zu einer Existenzgefährdung („ Erdrosselung ”) führen würde. Bei einer Belastung von rund 60 % des zu versteuernden Einkommens (ohne Kirchensteuer) sieht der BFH die Grenze zur übermäßigen Belastung noch nicht erreicht.