Daniel Käshammer, Dr. Andreas Bolik
Der BFH hält die (Weiter-)Erhebung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021 für noch nicht verfassungswidrig (BFH, Urteil v. 17.1.2023, IX R 15/20, BStBl 2023 II S. 351). Da der IX. BFH-Senat nicht zu der erforderlichen Überzeugung gelangt, dass der Solidaritätszuschlag in den Streitjahren 2020 und 2021 als nicht mehr verfassungsrechtlich zulässige Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer i.S. von Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG anzusehen ist, legte er die Frage auch nicht dem BVerfG vor.
Laut BFH darf der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe trotz des im Jahr 2019 ausgelaufenen Solidarpakts II und der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen auch ab dem Jahr 2020 weiter erhoben werden. Der wiedervereinigungsbedingte zusätzliche Finanzierungsbedarf des Bundes bestehe in den Jahren 2020 und 2021 fort (z.B. im Bereich der Rentenversicherung). Da der ursprüngliche Zweck damit für 2020 und 2021 noch nicht entfallen war, kommt es für den BFH auch nicht auf eine mögliche Umwidmung des Solidaritätszuschlags für die Finanzierung der Corona-Pandemie oder des Ukraine-Kriegs an. Aus dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 v. 10.12.2019 (BGBl I 2019 S. 2115) werde deutlich, dass der Gesetzgeber den Solidaritätszuschlag nicht dauerhaft, sondern nur für eine Übergangszeit (die für den BFH jedenfalls 26 bzw. 27 Jahre nach dessen Einführung noch nicht abgelaufen ist), erheben will. Es sei verfassungsrechtlich nicht geboten, eine Ergänzungsabgabe von vornherein zu befristen oder sie nur für einen kurzen Zeitraum zu erheben. Die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung, dass ab dem Jahr 2021 aufgrund erhöhter Freigrenzen nur noch die Bezieher höherer Einkommen mit Solidaritätszuschlag belastet werden, sieht der BFH als gerechtfertigt an.
Die bisher beim BFH anhängigen Revisionsverfahren unter IX R 9/22 (Vorinstanz: FG Baden-Württemberg, Urteil v. 16.5.2022, 10 K 1693/21) und unter IX R 16/22 (Vorinstanz: FG München, Urteil v. 12.10.2022, 2 K 330/22) hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen (BFH, Urteile v. 26.9.2023, IX R 9/22 und IX R 16/22, NV). In beiden Fällen sah der BFH für eine Klage, mit der die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags ab dem (bzw. für das) Jahr 2020 geltend gemacht wurde, kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Steuerfestsetzung wegen dieses Punktes vorläufig ist und beim BVerfG bereits ein einschlägiges Musterverfahren (hier: 2 BvR 1505/20) anhängig ist. Vgl. zum Vorläufigkeitsvermerk BMF, Schreiben v. 28.3.2022, BStBl 2022 I S. 203.