Leitsatz
1. Erwirbt ein Steuerpflichtiger von Todes wegen eine Wohnung, die an seine selbst genutzte Wohnung angrenzt, kann dieser Erwerb als Familienheim steuerbegünstigt sein, wenn die hinzuerworbene Wohnung unverzüglich zur Selbstnutzung bestimmt ist.
2. Der wegen der Beseitigung eines gravierenden Mangels eintretende Zeitverzug steht der unverzüglichen Selbstnutzung nicht entgegen, wenn der Erwerber den Baufortschritt angemessen fördert.
Normenkette
§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG, § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG
Sachverhalt
Der Kläger ist Alleinerbe seines im Oktober 2013 verstorbenen Vaters (V). Zum Nachlass gehörte eine von V bis zu seinem Tod selbst genutzte Doppelhaushälfte (Doppelhaushälfte 1). Der Kläger bewohnte seinerzeit die hieran direkt angrenzende Doppelhaushälfte (Doppelhaushälfte 2). Nach dem Abschluss von Renovierungs- und Sanierungsarbeiten nutzt der Kläger seit August 2016 die – nunmehr zu einer Wohnung verbundenen – Doppelhaushälften 1 und 2 selbst.
Das FA lehnte den Antrag des Klägers auf Gewährung der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG für den Erwerb der Doppelhaushälfte 1 ab. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG führte zur Begründung aus, die gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG erforderliche unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken liege nicht vor (FG Münster, Urteil vom 24.10.2019, 3 K 3184/17 Erb, Haufe-Index 13607257, EFG 2020, 214).
Entscheidung
Der BFH verwies die Sache auf die Revision des Klägers an das FG zurück. Der vom FG angelegte Maßstab sei zu streng. Das FG sei davon ausgegangen, dass die Steuerbefreiung bereits deshalb zu versagen sei, weil der Kläger nicht alles technisch Denkbare unternommen habe, um so schnell wie möglich in die Selbstnutzung einzutreten. Es könne jedoch vom Erwerber lediglich der Aufwand gefordert werden, der nach der Verkehrsanschauung als angemessene Förderung des Baufortschritts zu qualifizieren sei. Im zweiten Rechtsgang werde das FG die Verhältnisse des vorliegenden Einzelfalls nach diesem Kriterium erneut zu würdigen haben.
Hinweis
Der BFH befasst sich im Besprechungsurteil mit der Steuerbegünstigung für ein Familienheim bei Zuerwerb einer an die Wohnung des Erben angrenzenden Wohnung und mit den Voraussetzungen, unter denen eine unverzügliche Selbstnutzung trotz eines Zeitverzugs wegen der Beseitigung eines gravierenden Mangels vorliegt.
1. Steuerfrei ist nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG u.a. der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück i.S.d. § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG durch Kinder i.S.d. Steuerklasse I Nr. 2, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war, die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim) und soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 qm nicht übersteigt. Als Erwerb von Todes wegen gilt nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG u.a. der Erwerb durch Erbanfall (§ 1922 BGB).
2. Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG kann auch den Erwerb einer auf einem bebauten Grundstück i.S.d. § 181 Abs. 1 BewG gelegenen Wohnung umfassen, wenn diese räumlich an die vom Erwerber bereits selbst genutzte Wohnung angrenzt und nach dem Erwerb beide Wohnungen zu einer einheitlichen selbst genutzten Wohnung verbunden werden. Hinsichtlich der Wohnflächenbegrenzung kommt es allein darauf an, dass die Größe der hinzuerworbenen Wohnung 200 qm nicht übersteigt. Ob die Gesamtwohnfläche der nach Verbindung entstandenen Wohnung mehr als 200 qm beträgt, ist nicht ausschlaggebend. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG stellt allein auf die Größe des erworbenen Familienheims ab.
3. Die (hinzuerworbene) Wohnung muss beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt sein.
a) Eine Wohnung ist zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt, wenn der Erwerber die Absicht hat, die Wohnung selbst zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen, und diese Absicht auch tatsächlich umsetzt. Der Erwerber muss in die Wohnung einziehen und sie als Familienheim für eigene Wohnzwecke nutzen. Er muss dort den Mittelpunkt seines Lebensinteresses haben. Die bloße Bekundung der Absicht zur Selbstnutzung beispielsweise in der Erbschaftsteuererklärung oder gegenüber Dritten reicht nicht aus. Dasselbe gilt, wenn der Erwerber die Wohnung nur als Lagerraum nutzt oder sich z.B. gelegentlich im Garten, auf dem Balkon, im Keller oder auf dem Dachboden aufhält.
b) Der Erwerber muss die Wohnung "unverzüglich", d.h. ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), zur Selbstnutzung für eigene Wohnzwecke bestimmen. Er muss demnach innerhalb einer angemessenen Zeit nach dem Erbfall die Absicht zur Selbstnutzung des Hauses fassen und tatsächlich umsetzen. Angemessen ist regelmäßig ein Zeitraum von sechs Monaten nach dem Erbfall. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Erwerber i.d.R. prüfen, ob er ein...