Dipl.-Finw. (FH) Helmut Lehr
Leitsatz
Der EuGH hat darüber zu entscheiden, ob die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen bzw. innergemeinschaftliches Verbringen wegen formeller Mängel versagt werden kann, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung bestehen.
Sachverhalt
Der Kläger erwarb im Streitjahr 2006 als Einzelunternehmer einen neuen Pkw, den er seinem Unternehmen zuordnete. Das Fahrzeug versandte er am 20.10.2006 an einen spanischen Kfz-Händler, um den Pkw in Spanien zu verkaufen. Nachdem ein Käufer gefunden worden war, veräußerte der Kläger das Fahrzeug am 11.7.2007 an das spanische Unternehmen X. Nach Ansicht des Finanzamts unterlag das Verbringen des Fahrzeugs nach Spanien im Jahr 2006 der Umsatzsteuer, weil das Fahrzeug nicht nur vorübergehend nach Spanien verbracht worden war, sondern mit Verkaufsabsicht. Eine Steuerbefreiung käme nicht in Betracht, weil der Kläger keine eigene spanische USt-IdNr. aufgezeichnet und damit den erforderlichen Buchnachweis nicht geführt habe.
Entscheidung
Eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung im Sinne von Art. 28c Teil A a) Unterabsatz 1 der 6. EG-Richtlinie liegt vor, wenn sie Gegenstände betrifft, die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb eines Mitgliedsstaats, aber innerhalb der Union versandt oder befördert werden, und wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt. Weitere Voraussetzungen dürfen die Mitgliedstaaten nicht aufstellen, insbesondere kommt es nicht auf die Versteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs an.
Vorliegend sind diese Voraussetzungen nach Ansicht des Finanzgerichts erfüllt: Der Kläger, ein Unternehmer ("Steuerpflichtiger"), versandte das Fahrzeug von Deutschland nach Spanien, um es dort weiterhin unternehmerisch zu nutzen. Die Steuerbefreiung für den innergemeinschaftlichen Umsatz wäre allenfalls dann zu versagen, wenn insoweit konkrete Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung bestünden. Die Versagung der Steuerbefreiung wegen Nicht-Aufzeichnung der USt-IdNr. ist im Streitfall nicht möglich, da die USt-IdNr. keine materielle Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist und keine konkreten Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung vorliegen. Die bloße abstrakte Gefahr der Steuerhinterziehung ist nicht ausreichend, um vom Kläger weitere "zumutbare Maßnahmen" bzw. formelle Aufzeichnungspflichten einzufordern.
Hinweis
Mit der EuGH-Vorlage möchte das FG München letztlich Klarheit über die Auslegung des EuGH-Urteils vom 27.9.2012 (C-587/10) erhalten. Die EuGH-Entscheidung könnte nämlich so verstanden werden, dass innergemeinschaftliche Lieferungen ohne Erfüllung aller formellen Nachweisvoraussetzungen nur dann steuerfrei sind, wenn der Steuerpflichtige alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass er nicht an einer Steuerhinterziehung beteiligt ist. Nach Ansicht des Finanzgerichts können solche "zumutbaren Maßnahmen" nur dann Entscheidungsrelevanz haben, wenn eine Steuerhinterziehung im Raum steht. Im Kern geht es also darum, ob allein die Erfüllung der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen der Steuerbefreiung (nach derzeitigem europäischen Recht: Art. 138 MwStSystRL) ausreichend ist.
Es ist nicht gänzlich auszuschließen, dass der EuGH die Vorlagefrage gar nicht in der gewünschten Form beantworten wird, weil die Steuerbefreiung für ein innergemeinschaftliches Verbringen neuer Fahrzeuge gemäß Art. 138 Abs. 2 a) MwStSystRL bzw. § 6a Abs. 1 Nr. 2c UStG unabhängig davon greift, ob der "Erwerber" ein Unternehmer ist. Demnach dürfte die Steuerbefreiung beim Verbringen neuer Fahrzeuge erst recht nicht aufgrund der fehlenden Aufzeichnung einer USt-IdNr. versagt werden können (so Maunz, MwStR 2015, S. 134).
Link zur Entscheidung
FG München, Beschluss vom 04.12.2014, 14 K 1511/14