Dipl.-Finanzwirt (FH) Nikolaus Zöllner, Cecilia Hardenberg
Zusammenfassung
Stille Reserven sind Bestandteile des Eigenkapitals eines Unternehmens, die nicht in der Bilanz ersichtlich sind. Man bezeichnet sie oft auch als "verstecktes Reinvermögen" oder "versteckte Rücklagen". Sie stellen den Unterschiedsbetrag zwischen dem Buchwert und dem tatsächlichen Wert von Aktiva und Passiva einer Bilanz dar. Stille Reserven entstehen in der Regel durch das Ausnutzen von Bewertungsspielräumen bei Vermögensgegenständen und Schulden, für die eine Bilanzierungspflicht oder ein Bilanzierungswahlrecht besteht, wie beispielsweise durch Unterbewertung von Aktiva oder Überbewertung von Passiva durch Ansatz von überhöhten Rückstellungen.
Aus der gewinnmindernden Wirkung bei Bildung der stillen Reserven resultiert oftmals ein Steuerstundungseffekt, so dass die stillen Reserven ein gern gesehenes Mittel der Bilanzpolitik eines Unternehmens sind. Sie werden meist dann gewinnerhöhend aufgelöst und versteuert, wenn der betroffene Vermögensgegenstand entnommen oder veräußert oder die Rückstellung aufgelöst wird.
Das Handelsrecht beinhaltet keine spezielle Vorschrift für stille Reserven; vielmehr bilden sich stille Reserven durch die Ausnutzung gesetzlicher Bilanzierungs- und Bewertungsspielräume. Wichtige gesetzliche Regelungen finden sich in § 248 HGB (Bilanzierungsverbote und -wahlrechte) und § 253 HGB (Nominalprinzip, Anschaffungs- oder Herstellungskosten, Niederstwertprinzip). Stille Reserven können weiterhin entstehen
Das Handelsrecht schreibt zudem vor, dass der Bilanzierende vor dem Hintergrund des Gläubigerschutzes alle Vermögensgegenstände und Schulden vorsichtig bewerten muss. Werden dabei vorhersehbare Risiken und Verluste zu vorsichtig berücksichtigt, können stille Reserven entstehen, die später aufzulösen sind.
Zusätzlich ist § 253 Abs. 2 HGB zu beachten. Hiernach sind Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als 1 Jahr mit dem ihrer Laufzeit entsprechenden durchschnittlichen Marktzinssatz der vergangenen 7 Geschäftsjahre abzuzinsen. Rückstellungen für Altersvorsorgeverpflichtungen werden dagegen mit dem durchschnittlichen Marktzinssatz aus den vergangenen 10 Geschäftsjahren abgezinst.
1 Arten stiller Reserven
Stille Reserven oder stille Rücklagen werden im Gegensatz zu offenen Rücklagen nicht in der Bilanz ausgewiesen und sind für den Bilanzleser grundsätzlich nicht oder nur mit hohem Aufwand erkennbar. Stille Reserven entstehen oder werden gebildet:
- zwangsläufig, z. B. durch die Anwendung gesetzlicher Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften;
- durch Ausnutzen von gesetzlichen Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten;
- durch willkürliche Maßnahmen, z. B. Überbewertung von Rückstellungen;
- durch Schätzungsfehler, z. B. bei der Bewertung von Vorräten bei der Ermittlung der Herstellungskosten, bei der Bewertung von Drohverlustrückstellungen und der Schätzung der Nutzungsdauer von Gütern des Anlagevermögens.
Stille Zwangsrücklagen entstehen durch handelsrechtliche Aktivierungsverbote oder Bewertungsgebote. Die Anschaffungs- und Herstellungskosten bilden die Obergrenze bei der Bewertung von Vermögensgegenständen und dürfen nicht überschritten werden – auch dann nicht, wenn die Wiederbeschaffungskosten aufgrund von Preisschwankungen (erheblich) höher liegen.
Stille Ermessensrücklagen entstehen, wenn im Handelsrecht Bilanzierungs- und Bewertungsspielräume unter Beachtung des Vorsichtsprinzips ausgenutzt werden. Sie entstehen z. B. durch Unterlassen einer Aktivierung eines Vermögensgegenstands, für den ein Aktivierungswahlrecht besteht (z. B. das Disagio als Rechnungsabgrenzungsposten nach § 250 Abs. 3 HGB) oder durch Vermögensgegenstände, die auf die Bewertungsuntergrenze außerplanmäßig abgeschrieben werden.
Stille Willkürrücklagen entstehen, wenn die im Handelsgesetzbuch eingeräumten Ermessensspielräume absichtlich überschritten werden. Dies kommt vor, wenn Rückstellungen willkürlich überbewertet werden oder aktivierungspflichtige Vermögensgegenstände nicht aktiviert werden.
Stille Schätzungsrücklagen entstehen durch Schätzungsfehler bei der Berücksichtigung künftiger Einflüsse, die sich auf Wertansätze auswirken. So kann es z. B. vorkommen, dass die Nutzungsdauer eines Vermögensgegenstands bei der Bemessung der Abschreibung zu kurz geschätzt wird oder noch werthaltige Forderungen unterbewertet werden.
2 Mittel der Bilanzpolitik
Durch gezielte Bildung oder Auflösung von stillen Reserven kann der jeweilige Jahreserfolg eines Unternehmens beeinflusst werden. Die Bildung stiller Reserven...