Leitsatz
1. Ein Tabelleneintrag im Insolvenzverfahren kann gemäß § 178 Abs. 3 InsO auch im Haftungsverfahren Bindungswirkung entfalten.
2. Die Eintragung in die Tabelle ersetzt im Insolvenzverfahren den Steuerbescheid und wirkt u.a. gegenüber allen Insolvenzgläubigern gemäß § 178 Abs. 3 InsO für die festgestellte Forderung wie ein rechtskräftiges Urteil.
Normenkette
§ 178 Abs. 3 und Abs. 1, §§ 176 ff. InsO, § 69, § 164, § 166, § 191 AO, § 35 GmbHG
Sachverhalt
Im Streitfall ging es um einen Haftungsbescheid gegen den Geschäftsführer (Kläger) einer GmbH. Diese war in Zahlungsschwierigkeiten geraten und hatte auch an den Kläger keine Gehaltszahlungen mehr erbracht. Die Lohnsteuern (einschließlich Solidaritätszuschlag) für November 2012 bis Januar 2013 meldete die GmbH zwar an, führte die fälligen Beträge jedoch nicht ab. Hierfür nahm das FA den Kläger in Haftung.
Noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens legte der Kläger sein Amt nieder. Das FA und auch der Kläger selbst meldeten Forderungen zur Tabelle an, die letztlich im Prüfungstermin zur Tabelle festgestellt wurden, ohne dass der Kläger als Insolvenzgläubiger Widerspruch einlegte.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren reduzierte das FG die Haftungssumme um eine zwischenzeitlich erfolgte Teilzahlung und wies die Klage im Übrigen als unbegründet ab (FG Köln, Urteil vom 24.10.2017, 8 K 1829/15, Haufe-Index 12098746, EFG 2018, 1869). Mit seiner Revision wendet sich der Kläger gegen seine Haftung dem Grunde und der Höhe nach.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des Klägers als unbegründet zurück. Insbesondere war der Kläger aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen mit seinen Einwendungen gegen die Steuerschuld ausgeschlossen.
Hinweis
Kern des Streitfalls ist die Frage, ob der Kläger als Haftungsschuldner mit seinen Einwendungen gegen die der Haftung zugrunde liegende Steuerschuld ausgeschlossen ist, weil er im insolvenzrechtlichen Prüfungstermin nicht widersprochen hatte.
Anders als in den sonstigen Urteilsfällen hatte der Kläger sein Amt als Geschäftsführer noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens niedergelegt, wobei – wiederum eine Besonderheit – er als Insolvenzgläubiger seine offenen Gehaltsforderungen zur Insolvenztabelle angemeldet hatte.
Grundsätzlich kann ein Haftungsschuldner Einwendungen sowohl gegen die Haftungsschuld wie auch gegen die Steuerschuld erheben. Diesen Grundsatz durchbricht § 166 AO (sog. Drittwirkung der Steuerfestsetzung). Danach hat auch derjenige eine unanfechtbar festgesetzte Steuer gegen sich gelten zu lassen, der in der Lage gewesen wäre, den Steuerbescheid als Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten.
Nach der Senatsrechtsprechung tritt diese Drittwirkung (nach Ablauf der Einspruchsfrist) dann nicht ein, wenn der in Anspruch genommene Geschäftsführer seine Vertretungsmacht zu einem Zeitpunkt verloren hat, zu dem er noch einen Antrag auf Änderung von Bescheiden, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen, nach § 164 Abs. 2 AO hätte stellen können (BFH, Urteil vom 16.5.2017, VII R 25/16, BFH/NV 2017, 1217, BStBl II 2017, 934).
Jedoch ist die Einschränkung des § 166 AO der Rechtsprechung zufolge nicht über den Prüfungstermin hinaus geboten, in dem der spätere Haftungsschuldner als Vertreter des Steuerschuldners Einwendungen hätte erheben können.
Diese Grundsätze hat das FG auf den Streitfall angewandt. Es ging davon aus, dass der Kläger als Insolvenzgläubiger aus eigenem Recht nach § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO anfechtungsberechtigt war und deshalb ein Fall von § 166 AO vorgelegen habe.
Der BFH hingegen hat in seinem Urteil die Norm des § 166 AO nicht erwähnt. Er leitete eine Bindung des Klägers an die Steuerfestsetzung aus § 178 Abs. 3 InsO her. Nach § 178 Abs. 3 InsO wirkt die Eintragung in die Tabelle für die festgestellten Forderungen ihrem Betrag und ihrem Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern. Für das Abgabenrecht ersetzt die Eintragung in die Tabelle den Steuerbescheid (BFH, Urteil vom 19.8.2008, VII R 36/07, BFH/NV 2008, 2081, BStBl II 2009, 90, Rz. 15; BFH, Urteil vom 10.5.2007, VII R 18/05, BFH/NV 2007, 1737, BStBl II 2007, 914; BFH, Beschluss vom 5.7.2018, XI B 17/18, BFH/NV 2018, 1139). Im Ergebnis war der Kläger mit seinen Einwendungen gegen die Steuerschuld ausgeschlossen.
In der Praxis kann somit der Prüfungstermin auch für ehemalige Geschäftsführer im Hinblick auf eine (potenzielle) Haftungsschuld bedeutsam sein. Sind sie Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO), steht ihnen ein Widerspruchsrecht nach § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO zu, wenn sie ihre Forderung nach § 174 Abs. 1 InsO angemeldet haben (Specovius, in Braun, Insolvenzordnung, 7. Aufl., § 174 Rz. 36). Im Streitfall war das gegeben, sodass dem ehemaligen Geschäftsführer ein Widerspruchsrecht zustand.
Möglicherweise könnte ein ehemaliger Geschäftsführer sich die Einwendungen gegen die Steuerschuld erhalten, wenn er auf die Anmeldung seiner Insolvenzforderungen verzichtet. D...