Entscheidungsstichwort (Thema)
Zivilrechtliche Auflösung der Gesellschaft als Voraussetzung für Entstehung des Auflösungsverlusts nach § 17 Abs. 4 EStG. bei Ablehnung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens Auflösung einer AG erst im Zeitpunkt der Rechtskraft des Ablehnungsbeschlusses oder der Löschung im Handelsregister
Leitsatz (redaktionell)
1. Die zivilrechtliche Auflösung der Gesellschaft ist Voraussetzung für das Entstehen eines Auflösungsgewinnes /-verlustes i. S. d. § 17 Abs. 4 EStG. Die Beendigung der Gesellschaft bzw. die Liquidation ist nicht Voraussetzung.
2. Hat der Antrag der insolventen AG auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens tatsächlich nicht zur Eröffnung geführt und hat auch die Hauptversammlung der Gesellschaft nicht deren Auflösung oder Liquidation beschlossen, so ist die Gesellschaft frühestens dann aufgelöst – und erst dann entsteht der Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG –, wenn der Beschluss rechtskräftig wird, durch den die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wird (§ 262 Abs. 1 Nr. 4 AktG) oder wenn die Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit nach § 394 FamFG im Handelsregister gelöscht wird (§ 262 Abs. 1 Nr. 6 AktG). Die Löschung nach § 262 Abs. 1 Nr. 6 AktG hat nicht lediglich deklaratorische, sondern konstitutive Bedeutung im Hinblick auf die Auflösung der Gesellschaft; die Gesellschaft kann insoweit nicht schon vorher bei Eintritt der Vermögenslosigkeit als aufgelöst behandelt werden.
3. „Vermögenslosigkeit” i. S. d. § 394 FamFG ist gegeben, wenn nach ordentlicher kaufmännischer Betrachtungsweise kein Vermögen mehr vorhanden ist, das als Aktivposten in die Bilanz aufgenommen werden kann und zur Befriedigung der Gläubiger oder zur Verteilung an die Gesellschafter zur Verfügung steht. Auch nur ein nur geringes Bankguthaben der Gesellschaft in Höhe einigen tausend Euro führt ungeachtet weitaus höherer Verbindlichkeiten dazu, dass die Gesellschaft noch nicht „vermögenslos” ist.
Normenkette
EStG § 17 Abs. 1, 4 S. 1; AktG § 262 Abs. 1 Nrn. 2, 4, 6, §§ 130, 263; FamFG § 394
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung eines Auflösungsverlustes nach § 17 Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) im Kalenderjahr 2011 und um einen daraus möglichen Verlustrücktrag in das Kalenderjahr 2010.
Die Kläger sind verheiratet. Der Kläger war als Aktionär an der Firma Aktiengesellschaft (nachfolgend A AG) beteiligt und zugleich Vorstand dieser AG.
Die A AG wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 19.02.2002 zur UR-Nr. M 111/2002 des Notars gegründet. Ihr Grundkapital betrug zunächst 100.000 EUR, wovon der Kläger 5.000 Stück Aktien im Nennbetrag von 50.000 EUR sowie Herr B 5.000 Stück Aktien im Nennbetrag von 50.000 EUR übernommen hatten. Mit Aktien-Kauf und -Abtretungsvertrag vom 04.03.2008 verkaufte Herr B seine Aktien an den Kläger. In der Folge beschloss die Hauptversammlung am 12.03.2008 (UR-Nr. M 222/2008 des Notars die Erhöhung des Grundkapitals um 20.000 EUR auf 120.000 EUR. Die neuen 2.000 Stück Aktien im Nennbetrag von insgesamt 20.000 EUR wurden an die A-Beteiligungs GmbH i.G., ausgegeben. Am 05.02.2010 (UR-Nr. K 333/2010 des Notars) beschloss die Hauptversammlung eine weitere Erhöhung des Stammkapitals auf 200.000 EUR. Die neuen 8.000 Stück Aktien im Nennbetrag von je 10 EUR übernahm zu 5.625 Stück der Kläger und zu 2.375 Stück die A-Beteiligungs GmbH. Somit hielt der Kläger Anteile im Nennwert von 156.250 EUR, das entsprach 78,125% des Stammkapitals.
Am 30.12.2011 stellte der Vorstand wegen Zahlungsunfähigkeit den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der AG. Mit Beschluss vom 06.03.2012 (Az. 8 IN 1/12) lehnte das Amtsgericht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ab. Mit Beschluss vom 20.09.2012 wurde die AG wegen Vermögenslosigkeit nach § 394 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) im Handelsregister gelöscht.
Das Finanzamt veranlagte die Kläger mit Bescheid vom 16.04.2012 zur Einkommensteuer für das Kalenderjahr 2010. Darin sind Einkünfte aus Veräußerungsgewinnen in Höhe von 1.354.929 EUR enthalten. Dagegen legten die Kläger fristgerecht Einspruch ein und verwiesen auf ihre im Finanzamt eingereichte Einkommensteuererklärung für das Kalenderjahr 2011, in der sie einen Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG aufgrund der Insolvenz der A AG geltend machen. Die Kläger beantragten, die wegen des Auflösungsverlustes nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte nach 2010 zurückzutragen.
Am 18.03.2013 erging ein nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderter Einkommensteuerbescheid für 2010 (Bl. 45ff. d. A.). Dem Begehren der Kläger wurde nicht entsprochen.
In der am 08.05.2012 im Finanzamt eingegan...