Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichterfassung eines in der Einkommensteuererklärung erklärten Veräußerungsgewinns nach § 17 EStG bei der Veranlagung als offenbare Unrichtigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Nichterfassung eines in einer auf Papier eingereichten Einkommensteuererklärung erklärten Veräußerungsgewinns nach § 17 EStG bei der Veranlagung stellt eine offenbare Unrichtigkeit i. S. v. § 129 AO dar, wenn der Bearbeiter nach den Gesamtumständen des Falles davon ausgegangen ist, im Rahmen der anfänglichen Kompletterfassung wirklich alle Kennzahlen, also auch die den streitigen Veräußerungsgewinn betreffende Kennzahl im Sachbereich 45 (Rückseite der Anlage G), eingegeben zu haben, und dass damit eine steuerliche Berücksichtigung aller erklärten Einkünfte erfolgen würde.
2. Eine Berichtigung nach § 129 AO scheidet erst aus, wenn die ernsthafte, mehr als theoretische Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache auf einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung, einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht.
3. Eine „Berichtigung” nach § 129 AO liegt auch dann vor, wenn der nachträglich erfasste Veräußerungsgewinn der Höhe nach unzutreffend erklärt worden und aus diesem Grund die durch den berichtigten Bescheid festgesetzte Steuer möglicherweise objektiv zu hoch oder zu niedrig sein sollte.
4. Eine Korrektur nach § 129 S. 1 AO ist auch dann zulässig, wenn Steuerfälle durch die Verwaltung oberflächlich behandelt werden und ggf. ein Organisationsverschulden vorliegt.
Normenkette
AO §§ 129, 88 Abs. 2; EStG § 17
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte zum Erlass eines nach § 129 AO berichtigten Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2011 berechtigt war, in welchem er erstmals einen Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG in Höhe von 204.464 EUR steuerlich erfasst hatte.
Der durch die Kläger eingereichten Einkommensteuererklärung war eine Anlage G für den Kläger beigefügt, in welcher ein Verlust als Mitunternehmer i.H.v. 1.306 EUR sowie ein Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG i.H.v. 204.464 EUR erklärt wurden. Die Berechnung des Veräußerungsgewinns sowie ein Auszug aus dem Veräußerungsvertrag waren der Erklärung beigefügt.
Im Rahmen der Veranlagung stellte die zuständige Bearbeiterin fest, dass für den erklärten Verlust als Mitunternehmer noch keine ESt 4B-Mitteilung vorlag. Dazu fertigte sie einen entsprechenden Vermerk auf der Anlage G. Zu dem erklärten Veräußerungsgewinn erfolgten keinerlei Vermerke.
Der Beklagte veranlagte die Kläger mit Bescheid vom 21.12.2012 für das Kalenderjahr 2011 als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer, ohne den erklärten Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG zu berücksichtigen. Erläuterungen dazu erfolgten nicht. Zu den erklärten Verlusten aus der Grundstücksgemeinschaft wurde erläutert, dass diese erst nach entsprechender Mitteilung des für die Feststellung zuständigen Finanzamtes berücksichtigt würden.
Nach Eingang der ESt 4B-Mitteilung am 15.01.2013 änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 2011 am 31.01.2013 und berücksichtigte den Verlust aus der Mitunternehmerschaft.
Erst im Rahmen der Erklärungsbearbeitung für das Jahr 2014 stellte der Beklagte fest, dass der für 2011 erklärte Veräußerungsgewinn ohne Ansatz geblieben ist. Daraufhin berichtigte er den Einkommensteuerbescheid 2011 nach § 129 AO und legte im nunmehr streitigen Bescheid vom 13.10.2015 den erklärten Veräußerungsgewinn der Veranlagung zugrunde.
Im Rahmen ihres hiergegen gerichteten Einspruchs machten die Kläger geltend, die Voraussetzungen einer offenbaren Unrichtigkeit i.S.d. § 129 AO lägen nicht vor. Der Fehler sei auch bei der Änderung wegen der ESt 4B-Mitteilung nicht entdeckt worden. Es sei unplausibel, dass ein einfacher Übertragungsfehler bei einer ersten Änderung nicht aufgefallen sei, jedoch bei einer drei Jahre später stattfindenden Veranlagung festgestellt werde. Eine offenbare Unrichtigkeit könne nicht mit dem Übersehen der Anlage G begründet werden, da zum Verlust aus der Mitunternehmerschaft im Bescheid ein Hinweis enthalten sei. Eine Anwendung des § 129 AO scheide bereits aus, wenn die ernsthafte Möglichkeit bestehe, dass ein Denk- oder Übertragungsfehler vorliege. So verhalte es sich im Streitfall. Der Beklagte wies den Einspruch am 12.06.2017 als unbegründet zurück.
Die Kläger meinen, der angegriffene Bescheid genüge den Anforderungen des § 129 AO nicht. Der Beklagte habe nur den vom Kläger ermittelten Wert des steuerpflichtigen Gewinns von 204.464 EUR in den Bescheid übernommen, ohne eine fachliche Beurteilung vorzunehmen. Der Verzicht auf eine fachliche Prüfung dürfe unter der Überlegung erfolgt sein, dass jegliche fachliche Prüfung die „Offensichtlichkeit” der Unrichtigkeit ausgeschlossen hätte. Es sei aber erkennbar zweifelhaft, dass der erklärte Wert „richtig” sei, so dass mit dem Bescheid vom 13.10.2015 keine „Berichtigung” umgesetzt worden sei. Zweife...