Zusammenfassung
Für die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand in Gestalt der juristischen Personen des öffentlichen Rechts (jPdöR) gelten sowohl im deutschen UStG als auch in der MwStSystRL Sonderregelungen. Allerdings widerspricht die jüngere BFH-Rechtsprechung der bisherigen Verwaltungsauffassung und sieht für die öffentliche Hand die Unternehmereigenschaft in Bereichen als gegeben an, in denen bisher von einer Nichtsteuerbarkeit der Umsätze ausgegangen wurde. Der Gesetzgeber hat auf diese Entwicklung mit der Einführung eines neuen § 2b UStG reagiert. Dieser gilt für jPdöR grundsätzlich ab 2017, kann aber wahlweise auch erst später angewendet werden, spätestens ab voraussichtlich 2027(ursprünglich 2021, dann aber zwei mal um je 2 Jahre verlängert durch Corona-Steuerhilfegesetz bzw. JStG 2022, voraussichtlich Verlängerung um weitere 2 Jahre durch JStG 2024).
Wichtigste Rechtsgrundlage für die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand ist bisher § 2 Abs. 3 UStG. Durch das Steueränderungsgesetz (StÄndG) 2015 wird der neue § 2b UStG mit Wirkung ab 2017eingeführt. Die gemeinschaftsrechtliche Regelung für die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand findet sich in Art. 13 MwStSystRL (zuvor Art. 4 Abs. 5 der 2. und der 6. EG-Richtlinie). Die Verwaltungsauffassung zur Umsatzbesteuerung der jPdöR ist in Abschn. 2.11 UStAE geregelt. In den letzten Jahren sind zahlreiche Urteile des BFH zur Unternehmereigenschaft der jPdöR ergangen, die wesentlichen sind BFH, Urteil v. 20.8.2009, V R 70/05, UR 2009 S. 884; BFH, Urteil v. 20.8.2009, V R 30/06, BStBl 2010 II S. 863; BFH, Urteil v. 17.3.2010, XI R 17/08, UR 2010 S. 943; BFH, Urteil v. 15.4.2010, V R 10/09, UR 2010 S. 646; BFH, Urteil v. 2.3.2011, XI R 65/07, UR 2011 S. 657; BFH, Urteil v. 3.3.2011, V R 23/10, BStBl 2012 II S. 74; BFH, Urteil v. 10.11.2011, V R 41/10, DStR 2012 S. 348; BFH, Urteil v. 1.12.2011, V R 1/11, UR 2012 S. 363.
Zur Anwendung des neuen § 2b UStG sind bereits mehrere BMF-Schreiben ergangen, u. a.: BMF, Schreiben v. 19.4.2016, BStBl 2016 I S. 481 und BMF, Schreiben v. 16.12.2016, BStBl 2016 I S. 1451 und BMF, Schreiben v. 14.11.2019, BStBl 2019 I S. 1140 und BMF, Schreiben v. 9.7.2020, BStBl 2020 I S. 643 und BMF, Schreiben v. 12.6.2024, BStBl 2024 I S. 1041.
Außerdem hat sich das BMF in diversen nicht amtlich veröffentlichten Schreiben an Verbände zu einzelnen Fragen geäußert.
Durch das JStG 2022 wurde die Übergangsregelung zu § 2b UStG erneut um 2 Jahre (bis Ende 2024) verlängert (§ 27 Abs. 22a UStG). Nach dem Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2024 v. 13.6.2024 soll diese Frist um weitere 2 Jahre (bis Ende 2026) verlängert werden (Art. 21 Nr. 24 des Gesetzesentwurfs).
1 Bisherige Entwicklung
1.1 Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand in Deutschland
Juristische Personen des öffentlichen Rechts (jPdöR) sind Rechtssubjekte, die auf öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Gebiet Rechtsfähigkeit kraft Gesetzes besitzen.
Im Grunde handelt es sich um staatliche Einrichtungen wie z. B.
- Gebietskörperschaften – Bund, Länder, Landkreise und Gemeinden
- Verbandskörperschaften – Gemeindeverbände, Zweckverbände
- Personal- und Realkörperschaften – IHK, Handwerkskammer, Innungen, Berufskammern (Steuerberaterkammer, Rechtsanwaltskammer, Ärztekammer), staatliche Hochschulen
- Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts– z. B. Rundfunkanstalten des öffentlichen Rechts und Universitätsklinika in der Rechtsform von Anstalten des öffentlichen Rechts
- Kirchen (öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften)
Juristische Person des privaten Rechts als sonstige Einrichtung des öffentlichen Rechts
Eine juristische Person des privaten Rechts kann als eine sonstige Einrichtung des öffentlichen Rechts i. S. d. Art. 13 MwStSystRL gelten, wenn sie in die öffentliche Verwaltung eingegliedert ist. Die Eingliederung ergibt sich allerdings nicht allein aus der Vornahme von der öffentlichen Gewalt vorbehaltenen Handlungen, sondern bedarf der Erfüllung weiterer Voraussetzungen.
Für diese jPdöR ist eine wesentliche Ausnahme vom Grundsatz der Besteuerung aller Güter und Dienstleistungen im deutschen UStG – in unterschiedlicher Formulierung – in § 2 Abs. 3 UStG bereits seit 1934 enthalten.
Seit 1980 lautet § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG:
"Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 des Körperschaftsteuergesetzes) und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig."
Nach diesem Gesetzeswortlaut handeln jPdöR nur als Unternehmer i. S. des Umsatzsteuerrechts, soweit sie im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art (BgA) tätig sind. Umgekehrt sind Leistungen außerhalb eines BgA – im sog. hoheitlichen Bereich – nicht umsatzsteuerbar.
Das UStG nimmt hierbei Bezug auf die Regelungen des KStG zum BgA, woraus die Verwaltung bisher geschlossen hat, dass für die Frage, ob ein BgA vorliegt, auf § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 KStG abzustellen ist.
Nach § 4 Abs. 1 KStG gelten als BgA alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Täti...