Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Die Regelung des § 6 InvStG unterfällt nicht der Stillhalteklausel des Art. 64 Abs. 1 AEUV.
2. Inländischen Anteilsscheininhabern eines Investmentfonds mit Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika steht zur Vermeidung der pauschalen Ermittlung der Kapitalerträge gemäß §§ 2, 6 InvStG die Möglichkeit zu, die Besteuerungsgrundlagen des ausländischen Investmentvermögens gemäß § 5 Abs. 1 InvStG nachzuweisen (entgegen BMF, Schreiben vom 28.7.2015, BStBl I 2015, 610).
Normenkette
§§ 2, 5 und 6 InvStG, Art. 63, 64 AEUV, § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2004 Einkünfte aus Anteilen an Investmentfonds mit Sitz in den USA. Die Investmentfonds hatten die Veröffentlichungs- und Bekanntmachungspflichten des § 5 InvStG nicht erfüllt. Das FA ermittelte die Einkünfte dieser sog. "intransparenten" Fonds bei der Einkommensteuerfestsetzung nach der Pauschalierungsvorschrift des § 6 InvStG. Die Klägerin machte im finanzgerichtlichen Verfahren geltend, § 6 InvStG verstoße gegen das Unionsrecht. Das FG Berlin-Brandenburg hat die Klage mit Urteil vom 23.5.2012, 1 K 1159/08, Haufe-Index 3200672, EFG 2012, 1727 abgewiesen.
Entscheidung
Die Revision der Klägerin war aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen begründet. Sie führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG.
Hinweis
1. Die Besprechungsentscheidung hat die Pauschalbesteuerung von Kapitalerträgen aus "intransparenten" Fonds nach § 6 InvStG zum Gegenstand. Im Unterschied zur Besteuerung von Kapitalerträgen aus "schwarzen Fonds" nach dem AuslInvestmG (BFH, Urteil vom 28.7.2015, VIII R 2/09, BFH/PR 2016, 87, BFH/NV 2016, 280) hat der BFH eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV bejaht.
2. Zunächst stellt der BFH klar, dass es sich auch insoweit um Einkünfte aus Kapitalvermögen aus § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG handele. Dies war insoweit zweifelhaft, als ein Verweis auf die Besteuerung gemäß § 20 EStG bei der Pauschalbesteuerung nach § 6 InvStG fehlt. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber Kapitalerträge aus "intransparenten" Fonds nicht besteuern wollte.
3. Anders als bei der Besteuerung nach dem AuslInvestmG ist die Besteuerung von Kapitaleinkünften nach § 6 InvStG auch in Drittstaatenfällen am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 63 AEUV zu messen. Die Vorschrift fällt nicht unter die Stillhalteklausel des Art. 64 Abs. 1 AEUV. Dies folgert der BFH daraus, dass das InvStG auf einer grundlegenden Neukonzeption beruhe. Es könne danach nicht mit den unter die Stillhalteklausel fallenden Regelungen des AuslInvestmG gleichgesetzt werden.
Die Besteuerung nach § 6 InvStG verletzt die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV. Dies hat der EuGH in dem Urteil vom 9.10.2014, C-326/12, van Caster und van Caster daraus abgeleitet, dass die Regelung einen deutschen Investor davon abhalten könne, Anteile an einem ausländischen Investmentfonds zu zeichnen. Der allein in Betracht kommende Rechtfertigungsgrund der "Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle" ist nach Auffassung des BFH nicht gegeben. Die deutsche Finanzverwaltung sei aufgrund der großen Auskunftsklausel des Art. 26 Abs. 1 DBA-USA in der Lage, Angaben des Steuerpflichtigen zu den Besteuerungsgrundlagen des amerikanischen Investmentfonds zu überprüfen.
4. Der BFH hat den Rechtsstreit an das FG zurückverwiesen. Die Klägerin erhielt dadurch Gelegenheit, die Kapitalerträge aus dem Investmentfonds zu belegen. Die hierfür erforderlichen Angaben hat das BMF nach Ansicht des BFH in seinem BMF-Schreiben in BStBl I 2015, 610 konkretisiert. Bei lückenhaften Angaben der Klägerin sei die Finanzverwaltung gehalten, ihre innerstaatlichen und abkommensrechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, um die Angaben zu vervollständigen. Führten diese nicht zu einer weiteren Aufklärung, komme eine Schätzung der Kapitalerträge nur begrenzt in Betracht. In diesem Fall seien die Kapitalerträge grundsätzlich gemäß § 6 InvStG pauschal zu ermitteln.
5. Schließlich hat der BFH noch darauf hingewiesen, dass die nach § 6 Satz 3 InvStG am Jahresende als ausgeschüttet oder zugeflossen geltenden Beträge um den Gesamtbetrag der tatsächlichen Ausschüttungen zu kürzen seien. Indes führe die Umschichtung gutgeschriebener Erträge in neue Investmentanteile aufgrund einer Novation zu einer gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 InvStG zugeflossenen Ausschüttung.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.11.2015 – VIII R 27/12