Dr. Birger Brandt, Prof. Jürgen Brandt
Leitsatz
Dem Großen Senat wird folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Sind im Zusammenhang mit einer Vermögensübergabe zur Vorwegnahme der Erbfolge vereinbarte abänderbare Versorgungsleistungen auch dann als dauernde Last (Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG) abziehbar, wenn sie zwar aus den laufenden Nettoerträgen des übergebenen -Betriebs bezahlt werden können, aber der Substanzwert des – gepachteten – Betriebs negativ ist und sein Ertragswert 0 DM beträgt (Anschluss an Vorlagebeschluss des Senats vom 10.11.1999, X R 46/97, BFHE 189, 497, BStBl II 2000, 188)?
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1a
Sachverhalt
Der Kläger ist Gastwirt. Vertraglich übernahm er mit Wirkung vom 1.1.1988 von seinen Eltern eine Gaststätte mit allen Aktiva und Passiva mit Ausnahme des betrieblich genutzten Pkws. Ein Entgelt für die Betriebsübertragung wurde nicht vereinbart.
Auf Grund des Übertragungsvertrags hatten der 1921 geborene Vater und die 1920 geborene Mutter des Klägers gegen diesen einen Anspruch auf Entnahme von Speisen und Getränken oder von Lebensmitteln zu deren Zubereitung für den persönlichen Bedarf, die Übernahme der Miete für die bisherige Wohnung im Gebäude der Gaststätte sowie der Kosten für Strom und Heizung. Außerdem hatte der Kläger die Beiträge für private Versicherungen seiner Eltern zu zahlen. Der Substanzwert des Betriebsvermögens war negativ; unter Ansatz eines angemessenen Unternehmerlohns war der Ertragswert des Betriebs im Streitzeitraum mit 0 DM anzusetzen.
Das FA lehnte die Berücksichtigung der Aufwendungen des Klägers als dauernde Last ab; das FG gab der dagegen erhobenen Klage statt.
Entscheidung
Nach Auffassung des erkennenden Senats sind die Versorgungsleistungen als dauernde Last abziehbar; die Bemerkung des Großen Senats zur Vergleichsrechnung des Abschn. 123 Abs. 3 EStR a.F. (jetzt: BMF-Schreiben vom 23.12.1996, BStBl I 1996, 1508 Tz. 17 f., 38 f.) enthalte kein zusätzliches typusbegründendes Tatbestandsmerkmal.
Nach dem Vorlagebeschluss des Senats in BFHE 189, 497, BStBl II 2000, 188 habe die Vergleichsrechnung keine rechtliche Bedeutung, wenn die wiederkehrenden Renten mangels ausreichenden Ertrags des übertragenen Vermögens aus dessen Substanz gezahlt werden müssen ("Typus 2"). Andererseits kann in Fällen wie diesem die Abziehbarkeit einer dauernden Last nicht an der 50-v.H.-Grenze scheitern, wenn der übergebene Betrieb zwar ausreichend Erträge abwirft, aus denen eine Versorgungsrente gezahlt werden kann, aber keinen ausreichenden Substanz- und/oder Ertragswert hat.
Die vom Großen Senat des BFH in BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78 ausgesprochene Charakterisierung der Versorgungsleistungen "als vorbehaltene Vermögenserträge" versteht der erkennende Senat in dem Sinn, dass durch den Abzug der dauernden Last beim Verpflichteten und durch die Erfassung wiederkehrender Einkünfte beim Bezieher das der gesetzlichen Regelung zu Grunde liegende Prinzip der "vorbehaltenen Vermögenserträge" rechtstechnisch verwirklicht wird (Urteil vom 25.3.1992, X R 100/91, BFHE 168, 243, BStBl II 1992, 803). Dieser Transfer von steuerlicher Leistungsfähigkeit ist möglich, wenn die Erträge des übergebenen Vermögens die für das Altenteil typischen Versorgungsleistungen ermöglichen.
Der vom Senat beabsichtigten Entscheidung steht vor allem das Urteil des XI. Senats in BFH/NV 1991, 720 entgegen.
Der Klärungsbedarf ergibt sich auch unter dem Gesichtspunkt, dass das BMF in seinem Schreiben in BStBl I 1996, 1508 (Tz. 17 f., 38 ff.) die 50-v.H.-Grenze nur beim "Typus 2" anwendet. Hiernach kann Gegenstand der Vermögensübergabe auch eine existenzsichernde und ihrem Wesen nach ertragbringende Wirtschaftseinheit sein, deren Erträge aber nicht ausreichen, um die wiederkehrenden Leistungen zu erbringen. Wirtschaftseinheiten in diesem Sinn sind typischerweise Betriebe mit geringen Gewinnen oder Mietwohngrundstücke mit geringen oder negativen Einkünften.
In Fortführung der Verwaltungsanweisung in R 123 Satz 3 EStR 1996 und der Vorläuferregelungen heißt es (a.a.O., Tz. 18 – Hervorhebung nicht im Original): "Voraussetzung für eine Vermögensübergabe in diesen Fällen ist, dass der Wert des Vermögens im Zeitpunkt der Vermögensübergabe bei überschlägiger und großzügiger Berechnung mindestens die Hälfte des Kapitalwerts der wiederkehrenden Leistungen beträgt." Daraus könnte gefolgert werden, dass die Finanzverwaltung in Fällen des Typus 1, wie er im Streitfall gegeben ist, der besagten Vergleichsrechnung keine Bedeutung beimisst. Dies stünde jedoch mit der Entscheidung des XI. Senats in BFH/NV 1991, 720 nicht in Einklang. Im Interesse der Rechtsklarheit und der Rechtsfortentwicklung hält es der X. Senat für geboten, dass der Große Senat die recht-liche Bedeutung der 50-v.H.-Grenze entweder einschränkt oder bestätigend präzisiert.
Hinweis
Der "Grundsatz vom Vorbehalt der Vermögenserträge", mit dem der Große Senat die abziehbare Versorgungsrente aus dem Anwendungsbereich des § 12 Nr. 1 EStG herausgenommen und den das BVerfG als die Abzi...