Leitsatz
Es wird die Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob die ersatzlose Streichung von § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 i.d.F. bis zur Änderung durch Art. 3 Nr. 4 Buchst. a des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 (BGBl I 1997, 2590) gegen Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1 GG verstößt.
Normenkette
§ 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG , Art. 20 Abs. 3 GG , Art. 76 Abs. 1 GG , Art. 100 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die steuerrechtliche Beurteilung von Unternehmensverkäufen im Rahmen des sog. Kombinationsmodells und in diesem Zusammenhang darum, ob die Korrektur einer zuvor erfolgten Teilwertabschreibung durch Hinzurechnung gem. § 12 Abs. 2 UmwStG 1995 rechtmäßig ist. Die Klägerin möchte erreichen, dass diese Hinzurechnung durch den Höchstbetrag gem. § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 i.d.F. bis zur Änderung durch Art. 3 Nr. 4 Buchst. a des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform begrenzt wird. Das FA lehnt dies ab, ebenso das FG (EFG 1999, 864).
Entscheidung
Der BFH sieht zwar keine Möglichkeit, der Klägerin durch sog. teleologische Reduktion von § 12 Abs. 2 UmwStG 1995 im Wege der einfachen Gesetzesauslegung zu helfen. Er hält die ersatzlose Streichung von § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 i.d.F. bis zur Änderung durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform nach gegenwärtigem Erkenntnisstand indes für formell verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe gegen den Parlamentsvorbehalt verstoßen, indem die Änderung einzig und allein auf die Errungenschaften des Vermittlungsausschusses – unter formeller Ausschaltung des Bundestages – zurückzuführen sei. Darin liege ein Verstoß gegen das Parlamentsprinzip (Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1 GG), weshalb die nunmehrige gesetzliche Regelung zur Normenkontrolle dem BVerfG vorzulegen sei.
Grund hierfür ist der Umstand, dass (auch) dem BFH zwar das Recht zusteht, die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu prüfen, nicht jedoch, dieses ggf. wegen Verfassungswidrigkeit zu verwerfen. Dieses Recht steht allein dem BVerfG zu.
Hinweis
1. Aus der Lektüre von Heft 4/2001 der BFH-PR und dort der Seiten 120 bis 122 wissen Sie es bereits: Der BFH hat beträchtliche Bedenken daran, dass die ersatzlose Streichung von § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 (BGBl I 1997, 2590) in formal verfassungsmäßiger Weise zustande gekommen ist. Grund hierfür ist der Umstand, dass das parlamentarische Initiativrecht unterlaufen worden sein könnte, stammte die "Idee", die besagte Vorschrift zu streichen doch nicht aus dem Bundestag als dem eigentlichen parlamentarischen Gesetzgeber, sondern wurde sie stattdessen im Vermittlungsausschuss"geboren".
Wegen dieser Bedenken beabsichtigte der BFH, die Regelung gem. Art. 100 Abs. 1 GG auf den Prüfstand des BVerfG zu stellen, und forderte deshalb durch Beschluss vom 29.11.2000, I R 38/99 vorab das BMF zum Verfahrensbeitritt auf. Alle Einzelheiten dazu und zu den steuerlichen Auswirkungen auf Verschmelzungsvorgänge entnehmen Sie bitte den Praxis-Hinweisen zu diesem Beschluss in BFH-PR 2001, 120. Neues dazu gibt es nicht zu sagen.
2. Nunmehr hat der BFH seine Absicht in die Tat umgesetzt und die Sache tatsächlich dem BVerfG vorgelegt. Erfahrungsgemäß wird es nun drei bis fünf Jahre dauern, bis von dort eine Entscheidung zu erwarten ist. Bis dahin liegen sämtliche einschlägigen Verfahren auf Eis, und zwar alle Verfahren, in denen es um Verlustabzugsbeschränkungen gem. § 4 Abs. 5 und 6 sowie § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG 1995 und – vor allem – gem. § 8 Abs. 4 KStG geht: Immer dann, wenn Ihrem Mandanten aufgrund dieser Vorschriften nicht durch einfache Gesetzesauslegung geholfen werden kann, müssen die Verfahren bis zum Spruch des BVerfG unbedingt offen gehalten werden. Vielleicht wird die Finanzverwaltung über kurz oder lang allgemein verfügen, dass entsprechende Bescheide unter Vorläufigkeitsvermerk zu stellen sind. Die Rechtsungewissheit ist unschön, aber im Ergebnis wohl unvermeidlich.
3. Es sollte ungeachtet dessen nicht übersehen werden, dass die Verschärfungen des Verlustabzugs durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 noch weitere verfassungsrelevante "Schieflagen" in sich bergen. Das betrifft vor allem die Frage danach, ob die Neuregelungen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verletzten. Auch insoweit ist auf die Praxis-Hinweise in BFH-PR 2001, 120 (dort unter 4.) zu verweisen.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 18.7.2001, I R 38/99