Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. Zur Klärung der Veranlassungsbeiträge bei Teilnahme an einer Auslandsgruppenreise gelten auch nach der Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 21.09.2009, GrS 1/06 (BFH/NV 2010, 285, BFH/PR 2010, 85) die früher von ihm entwickelten Abgrenzungsmerkmale grundsätzlich weiter.
2. Haben nicht nur berufliche Gründe den Steuerpflichtigen bewogen, die Reisekosten zu tragen, ist zu prüfen, ob die beruflichen und privaten Veranlassungsbeiträge voneinander abgrenzbar sind.
3. Im Fall der Abgrenzbarkeit sind die Reisekosten in Werbungskosten und Aufwendungen für die private Lebensführung aufzuteilen. Als sachgerechter Aufteilungsmaßstab kommt vor allem das Verhältnis der beruflich und privat veranlassten Zeitanteile in Betracht.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 , § 12 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
K, Gymnasiallehrerin für Englisch und Religion, nahm 1998 zusammen mit anderen Englischlehrern unter Dienstbefreiung an einer Fortbildungsreise für Englischlehrer nach Dublin teil. Ankunft in Dublin war samstags, Sonntag folgte eine Stadtrundfahrt, danach Freizeit. Montag 10:00 bis 13:00 und 14:00 bis 17:00 Uhr Einführungsseminare in die irische Kultur (Keltisches Gälisch und Irisch), Teilung und Entwicklung Irlands, abends Literary Pub Crawl. Dienstag 10:00 bis 13:00 Uhr Besichtigung eines Gefängnisses, 14:30 bis 17:30 Uhr Seminar mit sozialpolitischen Themen und Besuch des Parlaments. Mittwoch 10:00 bis 13:00 und 15:30 bis 18:30 Uhr Seminare zur irisch dramaturgischen Tradition: Politik und Sprache und zeitgenössische irische Literatur, 20:00 Uhr Theateraufführung. Donnerstag Stadtführung in Belfast, Freitag 10:30 bis 13:30 Uhr Seminar zur Rolle der Kirchen im modernen Irland, 14:00 bis 17:00 Uhr Besichtigung einer Schule, 21:00 Uhr Abend mit traditioneller Musik und Tanz, Samstag zeitgenössisches Kino und Kultur, abends Abschiedsessen, Sonntag Abreise.
K machte für die Reise 2 328,50 DM als Werbungskosten geltend. Das FA ließ die Aufwendungen unberücksichtigt. Das FG (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 28.06.2006, 2 K 95/04, Haufe-Index 1707141, EFG 2007, 754) wies die Klage ab, weil die Sprachreise nicht ausschließlich beruflich veranlasst sei.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Das wird unter Berücksichtigung der nunmehr geltenden, durch den Großen Senat vorgegebenen Rechtsprinzipien, wie unter Praxishinweisen dargestellt, erneut zu prüfen haben, ob eine gemischt veranlasste Reise vorlag und ob gegebenenfalls dann die Kosten hierfür jedenfalls teilweise als Werbungskosten abzuziehen sind.
Hinweis
Der Besprechungsfall ist zusammen mit dem am selben Tag ergangenen Urteil (VI R 66/04, BFH/NV 2010, 1347, BFH/PR 2010, 287) die erste Entscheidung, die den Beschluss des Großen Senats zum Aufteilungs- und Abzugsverbot in die Praxis umsetzt. Er gibt damit erste Hinweise dafür, welche Folgen die Änderung der Rechtsprechung für die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung von gemischt veranlassten Reisen haben, die abgrenzbare berufliche und private Veranlassungsbeiträge aufweisen.
1. Vor der Entscheidung des Großen Senats galt, dass Aufwendungen für Reisen im Wesentlichen nur Werbungskosten waren, wenn die Reise ausschließlich oder nahezu ausschließlich der beruflichen/betrieblichen Sphäre zuzuordnen war; Kosten gemischt veranlasster Reisen waren nicht aufzuteilen, sondern unterfielen grundsätzlich (§ 12 Nr. 1 S. 2 EStG) dem Abzugsverbot. Dem wollte bekanntermaßen der LSt-Senat nicht folgen und rief daher den Großen Senat an (BFH, Urteil vom 20.07.2006, VI R 94/01, BFH/NV 2006, 1968, BFH/PR 2006, 434), der entschied, dass § 12 Nr. 1 S. 2 EStG kein allgemeines Aufteilungs- und Abzugsverbot enthält. Aufwendungen für Reisen, die abgrenzbare berufliche und private Anteile enthalten, sind jetzt grundsätzlich aufzuteilen, sofern die berufliche oder private Veranlassung nicht von untergeordneter Bedeutung ist. Sachgerechter Aufteilungsmaßstab kann das Verhältnis der beruflichen und privaten Zeitanteile der Reise sein. Das unterschiedliche Gewicht der verschiedenen Veranlassungsbeiträge kann es jedoch im Einzelfall erfordern, einen anderen Aufteilungsmaßstab heranzuziehen oder von einer Aufteilung ganz abzusehen (vgl. i.E. BFH, Beschluss vom 21.09.2009, GrS 1/06, BFH/NV 2010, 285, BFH/PR 2010, 85).
2. Diese Grundsätze auf den Streitfall angewandt führten zur Aufhebung der noch der alten Rechtslage folgenden Vorentscheidung. Für den zweiten Rechtsgang gab der BFH sodann Hinweise für die weitere Prüfung des Streitfalls, die sich nach seiner Auffassung aus dem Beschluss des Großen Senats ergeben. Das FG hat für den zweiten Rechtsgang nun erstens zu prüfen, aus welchen Gründen K die Reise unternommen hatte. Sollten sowohl berufliche als auch private Gründe dafür festzustellen sein, ist zweitens zu prüfen, ob die beruflichen und privaten Veranlassungsbeiträge objektiv abgrenzbar sind, wenn nämlich Reiseabschnitte bzw. Reisebestandteile unterschiedlich be...