Leitsatz
Die Auszahlung von Kindergeld an einen Abzweigungsberechtigten führt – anders als die Zahlung an den originär Kindergeldberechtigten – nur dann zum Erlöschen des Kindergeldanspruchs, wenn der Abzweigungsbescheid bestandskräftig geworden ist.
Normenkette
§§ 74 Abs. 1 Satz 3, 76 EStG, § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO
Sachverhalt
Die Klägerin erhielt von der Familienkasse Kindergeld für ihren schwerbehinderten Sohn. Nachdem der Sozialhilfeträger Sozialhilfe an die Klägerin gezahlt und deshalb die Abzweigung des Kindergeldes bei der Familienkasse beantragt hatte, zweigte diese mit Bescheid vom 5.7.2011 die Hälfte des Kindergeldes (92 EUR) an den Sozialhilfeträger ab. Nachdem die Klägerin hiergegen Einspruch erhoben hatte, um weiterhin volles Kindergeld zu erhalten, stellte die Familienkasse im November 2011 die Zahlung des Kindergeldes bis zur Klärung des Streites zwischen der Klägerin und dem Sozialhilfeträger ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 30.1.2013 entschied die Familienkasse, die Abzweigung im Zeitraum Mai bis Juli 2011 auf 78 EUR zu reduzieren und ab August 2012 aufzuheben. Das Finanzgericht gab der Klage statt (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24.2.2015, 4 K 180/13, Haufe-Index 8030583).
Entscheidung
Die Revision der Familienkasse war begründet und führte zur Aufhebung des FG-Urteils und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung an das FG. Das FG habe rechtsfehlerhaft eine Fortsetzungsfeststellungsklage als zulässig angesehen. Demgegenüber habe sich der angefochtene Verwaltungsakt mit der Auszahlung des Kindergeldes an den Sozialhilfeträger nicht erledigt.
Hinweis
1. Eine Abzweigung des Kindergeldes an den Sozialhilfeträger oder an das Kind scheidet aus, wenn das Kindergeld zuvor bereits an den originär kindergeldberechtigten Elternteil tatsächlich ausgezahlt wurde. Der Kindergeldanspruch wird durch die Auszahlung erfüllt und erlischt damit.
2. Der Auszahlung von Kindergeld an einen Dritten (Sozialhilfeträger) kommt nicht dieselbe Wirkung zu wie einer Auszahlung an den originär Kindergeldberechtigten. Denn die Erfüllungszuständigkeit für erhaltenes Kindergeld überträgt sich von der Person des Kindergeldberechtigten auf einen Dritten erst, wenn ein bestandskräftiger Abzweigungsbescheid der Familienkasse ergangen ist, bei dem es sich für den Empfänger um einen begünstigenden und für den bisher Kindergeldberechtigten um einen belastenden Verwaltungsakt mit Doppelwirkung handelt. Wird dieser Verwaltungsakt der Familienkasse fristgerecht durch Einspruch des Kindergeldberechtigten angefochten, kann er im Einspruchsverfahren wieder aufgehoben oder eingeschränkt werden. Dadurch wird die vormalige Erfüllungszuständigkeit des Kindergeldberechtigten wieder hergestellt.
Der Sozialhilfeträger hat nach erfolgreicher Anfechtung des Abzweigungsbescheides das zu Unrecht erhaltene Kindergeld an die Familienkasse gemäß § 112 SGB Xzu erstatten, sodass diese das Kindergeld dem Berechtigten nachzahlen kann.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.12.2015 – V R 18/15