Prof. Dr. Michael Preißer
1.8.1 Überblick
Rz. 1889
Ziel der Einführung des Halb- bzw. Teileinkünfteverfahrens war u. a., die mit dem Anrechnungsverfahren verbundenen Schwierigkeiten auf der Ebene der Kapitalgesellschaft, insbesondere die Gliederung des verwendbaren Eigenkapitals nach der Steuervorbelastung und das Herstellen der Ausschüttungsbelastung, abzuschaffen. Daher soll seit 2002 eine Gewinnausschüttung auf der Ebene der Kapitalgesellschaft keine Steuerfolgen mehr auslösen, es sei denn, die Gewinnausschüttung wird aus dem steuerlichen Einlagekonto finanziert (vgl. insbesondere § 27 Abs. 3 KStG). Allerdings wurden während einer 15-jährigen (!) Übergangszeit "Restanten der alten Gliederungsrechnung", nämlich ein sog. Körperschaftsteuerguthaben (umgerechnetes Eigenkapital 40, § 37 KStG) und ein Bestand von Eigenkapital 02 (§ 38 KStG) weitergeführt. Aus dieser Weiterführung über einen Zeitraum, der die Haltbarkeit vieler steuerrechtlicher Regeln überschreitet, resultieren besondere Schwierigkeiten, da sich das alte und neue System partiell überlagern. Dieses überlagernde System wurde ab 2007 auf ein ausschüttungsunabhängiges System umgestellt.
Beispielerläuterungen
Im Folgenden werden die Beispiele ohne Berücksichtigung des sog. Moratoriums (§ 37 Abs. 2a KStG) erläutert, da dieses nur für offene Gewinnausschüttungen (oGA) bis 31.12.2005 galt. Zum besseren Verständnis werden ferner die Grundzüge des Anrechnungsverfahrens dargestellt, da ohne dieses Verständnis manche Regelungen nur schwer nachzuvollziehen sind. Ab 2008 wird das Körperschaftsteuerguthaben jährlich i. H. v. 1/10 unabhängig von einer Gewinnausschüttung realisiert.
1.8.2 Steuerliche Folgen der Gewinnthesaurierung
1.8.2.1 Rechtsfolgen nach der Systemaufstellung
Rz. 1890
Nach der Systemumstellung entfällt die Notwendigkeit der Gliederung des verwendbaren Eigenkapitals (vEK), da die Gewinnausschüttung keine Steuerfolgen auslöst, die von der Körperschaftsteuervorbelastung abhängt. Es besteht im neuen Recht für die Gewinnausschüttung eine sog. Finanzierungsneutralität, d. h. die Herkunft der für die Gewinnausschüttung verwendeten Teilbeträge ist steuerlich irrelevant. Die thesaurierten Beträge werden künftig nicht mehr in einer "Nebenrechnung zur Steuerbilanz" (Gliederung des vEK) dokumentiert, wodurch insoweit nicht unerhebliche Schwierigkeiten vor allem bei der Abstimmung des verwendbaren Eigenkapitals in der Gliederungsrechnung mit dem Eigenkapital in der Steuerbilanz entfallen sind (§ 29 Abs. 1 KStG a. F.). Die in der Gliederungsrechnung dokumentierten Einkommensbestandteile (Gewinnrücklagen aus früheren Jahren) sind für den Übergangszeitraum noch insoweit von Bedeutung, als von ihnen – nach der Umgliederungsrechnung gem. § 36 KStG – mittelbar die Rechtsfolgen der Gewinnausschüttungen auf der Einkommensverwendungsebene abhängen.
1.8.2.2 Rechtsfolgen in der Übergangszeit (bis 2006)
Rz. 1891
Die Gewinnthesaurierung von nach der Systemumstellung erzielten Einkommensbestandteilen führte bereits in der Übergangszeit nicht zu steuerlichen Rechtsfolgen auf der Einkommensverwendungsebene. Besonderheiten bestehen nur für vor dem Systemwechsel erzielte Einkommensbestandteile, die nach der Umgliederungsrechnung i. S. d. § 36 KStG noch in den Übergangszeitraum mitgenommen wurden. Aus diesen "alten Einkommensbestandteilen", die als Körperschaftsteuerguthaben (vgl. § 37 KStG) und als Eigenkapital 02 (vgl. § 38 KStG) u. U. bis zum Ende des Übergangszeitraums jeweils gesondert festgestellt werden müssen, konnten bis 2006 nach der sog. Differenzrechnung im Ausschüttungsfall weiterhin Steuerfolgen eintreten (vgl. z. B. § 38 Abs. 2 KStG). Die neuen Einkommensbestandteile werden nicht mehr gesondert festgestellt und können nur mittelbar zu Steuerfolgen bei einer Gewinnausschüttung führen.
1.8.2.3 Rechtsfolgen ab der Umstellung (ab 2007)
Rz. 1892
Ab 2007 wurde der unverhältnismäßig lange Übergangszeitraum abgekürzt, indem auf ein ausschüttungsunabhängiges System der Realisierung des Körperschaftsteuerguthabens (vgl. § 37 Abs. 4 KStG) und der Körperschaftsteuererhöhung (durch das Jahressteuergesetz 2008, vgl. die dadurch eingeführte § 38 Abs. 3 ff. KStG) umgestellt worden ist. Zum besseren Verständnis soll nur noch sehr kurz auf die Zusammensetzung des Eigenkapitals und dessen Bedeutung für die Gewinnausschüttung eingegangen werden.
1.8.3 Rechtsfolgen von offenen Gewinnausschüttungen
1.8.3.1 Für Gewinnausschüttungen relevante Eigenkapitalbestandteile bis 2007
Rz. 1893
Bis 2007 hatte die Zusammensetzung des Eigenkapitals erhebliche Auswirkungen auf die Rechtsfolgen einer Gewinnausschüttung. Für Alt-Fälle sollen die wesentlichen Grundsätze zusammenfassend dargestellt werden. Folgende Eigenkapital-Bestandteile waren zu unterscheiden:
- Neutrales Vermögen,
- Teilbetrag des Eigenkapitals 02,
- Teilbetrag des steuerlichen Einlagekontos.
Eigenkapital-Topf
Das Körperschaftsteuerguthaben stellte keinen eigenen Eigenkapital-Topf dar, es war lediglich "eine Rechenziffer für in der Vergangenheit zu viel bezahlte Körperschaftsteuer...