Leitsatz
1. Wird eine eingeführte Bezeichnung für einen Betrieb nicht mitverkauft, sondern lediglich im Rahmen eines Franchisevertrags zur Nutzung überlassen, sind nicht alle wesentlichen Betriebsgrundlagen übertragen worden; deshalb ist der Gewinn aus der Veräußerung als laufender Gewinn zu besteuern.
2. Geldspeicher von Geldeinwurfautomaten sind Kassen. Daher ist bei ihrer Leerung der Bestand zu zählen und das Ergebnis aufzuzeichnen, um die Kassensturzfähigkeit zu gewährleisten.
3. Auch die griffweise Schätzung in Form eines (Un)Sicherheitszuschlags muss schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein; deshalb muss das Ergebnis dieser Schätzung vom FG ausreichend begründet und auf seine Plausibilität hin überprüft werden.
Normenkette
§ 146 Abs. 1 Satz 2, § 162 Abs. 2 Satz 1 AO, § 96 Abs. 1 Satz 1, § 118 Abs. 2 FGO, § 16 Abs. 1, § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
Der Kläger betrieb im Streitjahr mehrere Erotikmärkte unter einer einheitlichen Firmierung. Diese waren in einen Shop-Bereich und einen Bereich mit Videokabinen und Erotikkino (Video/Kino) unterteilt. Im Streitjahr 2004 veräußerte der Kläger einen seiner Erotikmärkte und schloss zeitgleich mit der Käuferin einen Franchisevertrag, in dem er ihr insbesondere die Nutzung des Namens einräumte und sie verpflichtete, das Markenbild des Franchisegebers zu bewahren.
Das FA war der Ansicht, der Gewinn aus der Veräußerung des Markts sei als laufender Gewinn zu versteuern, da der Kläger nicht alle wesentlichen Betriebsgrundlagen veräußert habe. Schließlich sei über den Ruf und Namen des Markts nur ein Franchisevertrag abgeschlossen worden. Zudem sah es die Kassensturzfähigkeit als nicht gegeben an. Die Geldspeicher der Automaten, die als Kassen anzusehen seien, seien in unregelmäßigen Abständen geleert, Münzen und Geldscheine ohne eigene Zählung bei der Bank abgeliefert und dort gutgeschrieben worden. Für die einzelnen Kassen seien keine getrennten Aufzeichnungen vorgenommen worden. Das FA schätzte im Ergebnis 10 % der erklärten Umsätze aus dem Bereich Video/Kino hinzu. Einspruch und Klageverfahren blieben erfolglos. Dabei übernahm das FG die griffweise Hinzuschätzung des FA (Thüringer FG, Urteil vom 20.5.2015, 3 K 553/14, Haufe-Index 10764481).
Entscheidung
Der BFH urteilte, das FG sei zwar zu Recht davon ausgegangen, dass der Veräußerungsgewinn als laufender Gewinn zu besteuern sei, da der Kläger nicht alle wesentlichen Betriebsgrundlagen veräußert habe. Auch sei das FG zutreffend davon ausgegangen, dass die Kassensturzfähigkeit der Geldspeicher und damit die formelle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht gegeben gewesen sei. Da der BFH die Hinzuschätzung des FG aber nicht auf ihre Angemessenheit hin überprüfen konnte, wurde das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen.
Hinweis
Das Urteil beantwortet drei interessante Fragen aus unterschiedlichen Bereichen:
1. Ein Veräußerungsgewinn ist nur dann ermäßigt zu besteuern ist, wenn alle stillen Reserven, die in den wesentlichen Grundlagen einer betrieblichen Sachgesamtheit angesammelt wurden, in einem einheitlichen Vorgang aufgelöst werden. Die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 EStG i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG sind hingegen nicht erfüllt, wenn nicht alle funktional wesentlichen Wirtschaftsgüter übertragen werden. Hierzu zählen auch solche Wirtschaftsgüter, die zwar funktional gesehen für den Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil nicht erforderlich sind, in denen aber erhebliche stille Reserven gebunden sind (sog. funktional-quantitative Betrachtungsweise). Dies folgt aus der normspezifischen Auslegung des § 34 EStG (BFH, Urteil 28.5.2015, IV R 26/12, BFH/NV 2015, 1308, BFHE 248, 536, BStBl II 2015, 797, jeweils m.w.N.).
Ob einzelne Wirtschaftsgüter zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen zu zählen sind oder nicht, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab und ist vom FG als Tatsacheninstanz zu beurteilen. Die vom FG vorgenommene Würdigung, die dem ersten Leitsatz zu entnehmen ist, war im Streitfall nicht revisionsrechtlich zu beanstanden.
2. Auch bei nicht verplombten Geldspeichern von Automaten, die als Kassen anzusehen sind, muss die Kassensturzfähigkeit gegeben sein. Ebenso wie Bareinnahmen einer offenen Ladenkasse ist ein täglicher Kassenbericht erforderlich, der auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens der Bareinnahmen erstellt wird. Dies ist die Folge der jederzeitigen Möglichkeit, die Kasse bzw. die Kasseneinnahmen und -ausgaben manipulieren zu können. Dabei ist kein "Zählprotokoll" erforderlich. Erforderlich – aber auch ausreichend – ist ein Kassenbericht, der auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens erstellt worden ist.
Dieser Kassenbericht muss im Fall einer offenen Ladenkasse so beschaffen sein, dass es einem Buchsachverständigen zumindest am Beginn und am Ende jedes Geschäftstages (bei Einzelaufzeichnung der Bareinnahmen auch jederzeit im Laufe des Geschäftstages) möglich ist, den durch Kassensturz festgestellten Ist-Bestand anhand der Kassenaufzeichnungen...