LfSt Bayern v. 27.10.2017, S 0127.1.1-6/6 St 42
1. Allgemeines
Geht die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung durch eine Änderung der sie begründenden Umstände von einem Finanzamt auf ein anderes Finanzamt über, tritt ein Wechsel in der Zuständigkeit erst in dem Zeitpunkt ein, in dem eines der betroffenen Finanzämter von dem Zuständigkeitswechsel erfährt (§ 26 Satz 1 AO) und kein Grund vorliegt, der den Wechsel der Zuständigkeit gesetzlich ausschließt (§ 26 Satz 3 AO). Erforderlich ist positive Kenntnis. Ein reines Kennenmüssen ist nicht ausreichend (BFH-Beschluss vom 19.5.2008, V B 28/07, BFH/NV 2008 S. 1451). Ein Steuerpflichtiger kann sich auf eine veränderte örtliche Zuständigkeit der Finanzämter nicht berufen, solange die die Zuständigkeit verändernden Umstände keinem der betroffenen Finanzämter zweifelsfrei bekannt geworden sind (BFH-Urteil vom 25.1.1989, X R 158/87, BStBl 1989 II S. 483).
Tritt ein Zuständigkeitswechsel ein, hat das neu zuständig gewordene Finanzamt die Besteuerung in vollem Umfange zu übernehmen. Das gilt sowohl für den Festsetzungs- als auch den Erhebungsbereich und auch für frühere (noch nicht abgeschlossene) Veranlagungszeiträume.
Das neu zuständig gewordene Finanzamt tritt in dem Stadium, in dem sich das Verwaltungsverfahren befindet, in das Verfahren ein und hat sowohl die unerledigten Veranlagungen durchzuführen als auch die Kassengeschäfte zum Stand des Zuständigkeitswechsels zu übernehmen. Erforderlichenfalls hat es auch Vollstreckungsmaßnahmen wegen Abgabenrückständen aus der Zeit vor Eintritt des Zuständigkeitswechsels vorzunehmen bzw. fortzuführen, weil die Zuständigkeit für die Besteuerung auch die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen umfasst; bei Erstattung von Guthaben vgl. Karte 6 zu § 26 AO. Das bislang zuständige Finanzamt darf grundsätzlich nicht mehr zuständig werden.
Die Übernahme der Besteuerung kann daher nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass
- Steuererklärungen unbearbeitet und Veranlagungen noch nicht durchgeführt sind,
- die persönliche und/oder sachliche Steuerpflicht zwischenzeitlich erloschen ist (bei Umwandlung/Verschmelzung/Anwachsung und verstorbenen natürlichen Personen vgl. Karte 2 und 3 zu § 26 AO),
- die Steuerpflicht zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht gewechselt hat (vgl. Karte 4 zu § 26 AO)
- über Anträge des Steuerpflichtigen (z.B. auf Erlass von Steuerschulden) noch nicht entschieden ist oder
- der Steuerpflichtige mit der Zahlung fälliger Steuern rückständig ist, auch wenn keine Steuererklärungspflicht mangels keiner/ geringer Einkünfte mehr besteht.
Auch ein anhängiges Einspruchsverfahren hindert die Übernahme der Besteuerung durch das neu zuständig gewordene Finanzamt nicht, da nach § 367 Abs. 1 Satz 2 AO jeder nach Erlass des Verwaltungsakts eingetretene Zuständigkeitswechsel auch eine Zuständigkeitsänderung im Einspruchsverfahren bewirkt (Hinweis auf AEAO zu § 367, Nr. 1). Die Rechtsbehelfsvorgänge sind daher mit den übrigen Akten abzugeben.
Zum Wechsel der örtlichen Zuständigkeit während eines finanzgerichtlichen Verfahrens siehe Vorkarte 1 zur FGO, Tz. 1.5.
2. Fortführung des Verfahrens nach § 26 Satz 2 AO
Nach § 26 Satz 2 AO kann das bisher zuständige Finanzamt ein bereits begonnenes Verwaltungsverfahren – trotz eines zwischenzeitlich eingetretenen Zuständigkeitswechsels – fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen des Steuerpflichtigen der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und das nunmehr zuständige Finanzamt zustimmt. Eine entsprechende Vereinbarung zwischen den beteiligten Finanzämtern kann sich stets nur auf einzelne, im Zeitpunkt des Zuständigkeitswechsels anhängige Verwaltungsverfahren beziehen, nicht jedoch auf die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung insgesamt (insoweit Hinweis auf § 27 AO).
Als Verwaltungsverfahren im Sinne des § 26 Satz 2 AO ist insbesondere das einzelne Besteuerungsverfahren anzusehen, das im Allgemeinen mit der Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung oder der Abgabe der Steuererklärung beginnt und mit der erforderlichenfalls im Vollstreckungswege durchzuführenden Verwirklichung des Anspruchs (Einziehung bzw. Erstattung der Steuer) endet, einschließlich eines etwaigen Einspruchsverfahrens. Dabei ist jede Steuerart und jeder Veranlagungszeitraum gesondert zu betrachten.
Begonnen ist ein Verfahren, wenn eine erste Maßnahme in der Absicht, einen Verwaltungsakt zu erlassen, getroffen ist. Hierzu muss die Behörde mit Außenwirkung tätig geworden sein, beispielsweise durch eine Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung oder den Erlass einer Prüfungsanordnung. Vorbereitende Maßnahmen und internes Verwaltungshandeln sind nicht ausreichend.
Das bislang zuständige Finanzamt darf keine Prüfungsordnung mehr erlassen, da eine Außenprüfung mit dem Erlass der Prüfungsordnung beginnt.
Zur einfachen und zweckmäßigen Verfahrensdurchführung und um zu verhindern, dass durch den Zuständigkeitswechsel eine erhebliche Verzögerung entsteht, können Vereinbarungen nac...