Leitsatz (amtlich)
Die Einbeziehung von selbst aufgezogenen weiblichen Zuchtrindern in das Vergleichsvolumen ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil weibliche Zuchtrinder aus biologischen Gründen erst nach mehr als zwei Jahren als "hergestellt" gelten und aus diesem Grund in keinem Fall im Begünstigungsvolumen berücksichtigt werden können.
Orientierungssatz
Das Vergleichsvolumen (§ 4b Abs. 5 InvZulG 1982) setzt sich zusammen aus den "begünstigten Investitionen" des § 4b Abs. 2 Satz 1 InvZulG 1982. Insoweit ist es mit dem Begünstigungsvolumen weitgehend kongruent. Ansonsten sind Tatbestandsmerkmale, die für das Begünstigungsvolumen gelten, nicht ohne weiteres auf das Vergleichsvolumen zu übertragen. Das gilt insbesondere für bestehende Fristen. So ist im Rahmen des Vergleichsvolumens die Einhaltung der Verbleibfrist ausdrücklich im Gesetz ausgeschlossen. Insbesondere sind die in das Vergleichsvolumen einzubeziehenden Wirtschaftsgüter nicht an Lieferfristen und Fertigstellungsfristen gebunden. Solche gibt es nur beim Begünstigungsvolumen. Beim Vergleichsvolumen reicht es aus, wenn der Zeitpunkt der Anschaffung oder Herstellung in den Vergleichszeitraum fällt.
Normenkette
InvZulG 1982 § 4b Abs. 2, 5
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Entscheidung vom 27.02.1986; Aktenzeichen II 25/84) |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt als Landwirt die Milchwirtschaft. Er zieht aus eigenen Beständen in jedem Wirtschaftsjahr sechs Jungtiere nach.
Am 30.April 1982 erwarb der Kläger eine Melkanlage für netto 21 840 DM. Seinem Antrag, ihm dafür unter Berücksichtigung eines Vergleichsvolumens von 8 253 DM eine Beschäftigungszulage nach § 4b des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1982 in Höhe von 1 326,50 DM zu gewähren, entsprach der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) nur teilweise. Das FA erhöhte das durchschnittliche Vergleichsvolumen auf 12 093 DM und setzte die Zulage im Änderungsbescheid vom 5.April 1984 auf 975 DM fest. Dabei berücksichtigte das FA u.a. die vom Kläger in den Wirtschaftsjahren 1978/79, 1979/80 und 1980/81 selbst aufgezogenen sechs weiblichen Zuchtrinder, und zwar mit einem nach Erfahrungswerten geschätzten Betrag von jeweils 1 560 DM (vgl. Tz.37 des Schreiben des Bundesministers der Finanzen --BMF-- vom 11.Oktober 1982 IV B 2 - InvZ 1010 - 80/82 in Verbindung mit Anlage 1, BStBl I 1982, 775).
Der Kläger ist der Auffassung, daß die selbst aufgezogenen Milchkühe im Vergleichsvolumen nicht anzusetzen sind. Wirtschaftsgüter könnten in das Vergleichsvolumen nur einbezogen werden, wenn sie der Art nach auch im Begünstigungsvolumen berücksichtigt werden könnten. Das sei aber aus biologischen Gründen bei selbst aufgezogenen weiblichen Zuchtrindern nicht der Fall. Denn ein Zuchtrind gelte erst mit der Vollendung der ersten Geburt (Kalbung) als "fertiggestellt" (vgl. Tz.59 des BMF-Schreibens vom 5.Mai 1977 IV B 2 - S 1988 - 150/77, BStBl I 1977, 246); das sei regelmäßig erst nach zwei Jahren seit der Geburt der Fall. Da die Fertigstellungsfrist für bewegliche Wirtschaftsgüter nach § 4b Abs.2 Satz 2 InvZulG 1982 im Höchstfall zwei Jahre betrage, könne für selbst aufgezogene Milchkühe in keinem Fall eine Beschäftigungszulage gewährt werden.
Sowohl der Einspruch als auch die Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Meinung, der Änderungsbescheid vom 5.April 1984 stimme mit dem Gesetzeswortlaut überein. Danach reiche es aus, daß Wirtschaftsgüter im Vergleichszeitraum geliefert oder hergestellt worden sind. Auf die im Zusammenhang mit dem Begünstigungsvolumen zu beachtenden Fristen komme es nicht an. Dadurch könnten für manche Wirtschaftszweige Härten entstehen. Diese habe aber der Gesetzgeber gesehen und in Kauf genommen. Für eine richterliche Rechtsfortbildung sei deshalb kein Raum. Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1986, 614 veröffentlicht.
Mit der Revision trägt der Kläger im wesentlichen unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens vor: Aus der biologischen Konstellation ergebe sich das Paradoxon, daß selbst hergestellte Zuchtrinder in keinem Fall das Begünstigungsvolumen erhöhen, jedoch durch Einbeziehung in das Vergleichsvolumen die Bemessungsgrundlage für die Beschäftigungszulage mindern könnten. An diese Fallgestaltung habe der Gesetzgeber nicht gedacht, so daß eine Gesetzeslücke vorliege, die von der Rechtsprechung zu schließen sei.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils den Bescheid vom 5.April 1984 zu ändern und eine Investitionszulage von 1 911 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorentscheidung läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen.
1. Im Vergleich zur Konjunkturzulage nach § 4b InvZulG 1975 hat die Beschäftigungszulage des § 4b InvZulG 1982 eine wesentliche Einschränkung gebracht. Begünstigt sind durch die Neuregelung nur noch "zusätzliche Investitionen"; das sind solche, die das durchschnittliche Investitionsvolumen des Unternehmens in den drei dem Begünstigungszeitraum vorangegangenen Jahren übersteigen (zur Gesetzesbegründung vgl. BTDrucks 9/1400 S.10). Gesetzestechnisch kommt die Beschränkung dadurch zum Ausdruck, daß in § 4b Abs.3 InvZulG 1982 zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage das Begünstigungsvolumen dem Vergleichsvolumen gegenüberzustellen ist. Während das Begünstigungsvolumen in seinen Grundzügen der bisherigen Bemessungsgrundlage des § 4b InvZulG 1975 entspricht, ist die Regelung des Vergleichsvolumens neu. Nach § 4b Abs.5 InvZulG 1982 ist Vergleichsvolumen die Summe der Anschaffungs- oder Herstellungskosten der in den drei letzten vor dem 1.Januar 1982 abgelaufenen Wirtschaftsjahren in dem Betrieb oder der Betriebstätte im Inland angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter i.S. des Abs.2 Satz 1 Nr.1 oder 3 und der in diesem Zeitraum in dem Betrieb oder der Betriebstätte im Inland beendeten nachträglichen Herstellungsarbeiten i.S. des Abs.2 Satz 1 Nr.2 oder 4, geteilt durch die Anzahl dieser Wirtschaftsjahre. Das Vergleichsvolumen setzt sich damit, was die zu berücksichtigenden Wirtschaftsgüter anbelangt, zusammen aus den "begünstigten Investitionen" des § 4b Abs.2 Satz 1 InvZulG 1982. Insoweit ist es mit dem Begünstigungsvolumen weitgehend kongruent. Ansonsten hat aber das Vergleichsvolumen eine eigenständige Regelung erfahren. Deshalb sind Tatbestandsmerkmale, die für das Begünstigungsvolumen gelten, nicht ohne weiteres auf das Vergleichsvolumen zu übertragen. Das gilt insbesondere für bestehende Fristen. So ist im Rahmen des Vergleichsvolumens die Einhaltung der Verbleibfrist ausdrücklich im Gesetz ausgeschlossen (§ 4b Abs.5 letzter Satz InvZulG 1982). Insbesondere, und diesem Gesichtspunkt kommt im vorliegenden Fall entscheidende Bedeutung zu, sind die in das Vergleichsvolumen einzubeziehenden Wirtschaftsgüter nicht an Liefer- und Fertigstellungsfristen gebunden. Solche gibt es nur beim Begünstigungsvolumen. Beim Vergleichsvolumen reicht es aus, wenn der Zeitpunkt der Anschaffung oder Herstellung in den Vergleichszeitraum fällt. Theoretisch wäre es denkbar gewesen, um einen Gleichklang zwischen Begünstigungs- und Vergleichsvolumen zu erreichen, auch beim Vergleichsvolumen nur Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen, die innerhalb von höchstens zwei Jahren (bei beweglichen Wirtschaftsgütern) oder höchstens drei Jahren (bei Gebäuden) angeschafft oder hergestellt worden sind. Es ist aber keine Frage, daß diese Regelung kompliziert wäre und alle Beteiligten vor große Schwierigkeiten gestellt hätte. Der Gesetzgeber hat im § 4b Abs.5 InvZulG 1982 bewußt eine einfache Regelung getroffen und damit Ungereimtheiten oder sogar Härten in Kauf genommen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen dagegen keine Bedenken, da der Gesetzgeber bei Subventionsnormen einen weiten Ermessensspielraum hat. Auch ist eine solche Regelung um so mehr in Kauf zu nehmen, wenn sie nur, wie hier, für eine kurze Zeit gilt.
2. Der Senat hat nicht feststellen können, daß eine Inkongruenz zwischen Vergleichsvolumen und Begünstigungsvolumen, wie sie im vorliegenden Fall gegeben ist, dem Gesetzgeber verborgen geblieben ist. Denn es gibt sie auch in anderen Fällen. So tritt sie insbesondere bei Großprojekten auf, also bei Bauvorhaben, deren Planung und Durchführung nicht innerhalb von höchstens drei Jahren erfolgen kann. Hat der Gesetzgeber solche Fälle aber in Kauf genommen, so können die FGe das Gesetz nicht korrigieren. Das entspräche nicht ihrer verfassungsrechtlichen Stellung nach dem Grundgesetz.
3. Von den vorgenannten Rechtsgrundsätzen ist das FG bei seiner Entscheidung ausgegangen. Da die Fertigstellungsfrist bei weiblichen Zuchtrindern regelmäßig mehr als zwei Jahre beträgt, können solche Tiere dann nicht in das Begünstigungsvolumen einbezogen werden, wenn sie selbst aus dem eigenen Bestand nachgezogen werden. Anders kann es sein, wenn sie als Jungtiere gekauft werden. Hier ist die Einhaltung der Fertigstellungsfrist möglich. Demgegenüber kommt es beim Vergleichsvolumen auf Fertigstellungsfristen nicht an. Hier genügt es, daß der Zeitpunkt der Fertigstellung (die erste Kalbung) in den Vergleichszeitraum fällt.
Nach den vorausgegangenen Ausführungen ist es auch unerheblich, daß die im Wirtschaftsjahr 1978/1979 "fertiggestellten" Kühe nach den zugrunde zu legenden biologischen Gesetzmäßigkeiten bereits vor dem Beginn dieses Wirtschaftsjahres geboren wurden, also --gesetzestechnisch gesprochen-- mit deren Herstellung vor dem 1.Juli 1978 begonnen wurde. Denn es kommt allein auf den Zeitpunkt der Fertigstellung an. Und dieser fiel in das Wirtschaftsjahr 1978/1979.
Fundstellen
Haufe-Index 62347 |
BFH/NV 1989, 12 |
BStBl II 1989, 244 |
BFHE 155, 438 |
BFHE 1989, 438 |
BB 1989, 1472-1472 (LT) |
DB 1989, 707-708 (LT) |
HFR 1989, 262 (LT) |