Entscheidungsstichwort (Thema)
(Inhaltliche Bestimmtheit eines Steuerbescheids - keine Verwirklichung von Erstattungsansprüchen trotz Nichtigkeit eines Steuerbescheids)
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Steuerbescheid, der sich an einen verstorbenen Steuerschuldner richtet, ist mangels inhaltlicher Bestimmtheit nichtig (unwirksam). Der Zusatz "z.H..." (des Bevollmächtigten) ändert hieran nichts.
2. Der Befugnis der Rechtsnachfolger des Steuerschuldners, die Nichtigkeit eines solchen Bescheids feststellen zu lassen und aus der Nichtigkeit abgeleitete Erstattungsansprüche geltend zu machen, können die Grundsätze von Treu und Glauben entgegenstehen.
Orientierungssatz
1. Ein Steuerverwaltungsakt muß bestimmt und unzweideutig eine Regelung i.S. des § 118 Satz 1 AO 1977 treffen. Aus dem Verwaltungsakt selbst muß sich mit hinreichender Bestimmtheit ergeben, wem gegenüber die Regelung getroffen werden soll. Für Steuerbescheide ist in § 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 ausdrücklich klargestellt, daß sie angeben müssen, wer die Steuer schuldet. Fehler, die hinsichtlich der Bezeichnung des Steuerschuldners im Bescheid unterlaufen sind, können nicht durch Richtigstellung im weiteren Verfahren geheilt werden, auch nicht dadurch, daß sich derjenige, der einen solchen mangelhaften Bescheid erhalten hat, tatsächlich als Adressat ansieht. Die genaue Bezeichnung des Steuerschuldners muß zwar nicht unbedingt im "Anschriftenfeld" enthalten sein. Sie muß sich aber aus dem Bescheid selbst ergeben, und zwar mit solcher Deutlichkeit, daß Verwechslungen hinsichtlich des Steuerschuldners ausgeschlossen sind (vgl. BFH-Rechtsprechung).
2. Die Grundsätze von Treu und Glauben gebieten es innerhalb eines bestehenden Steuerrechtsverhältnisses für Steuergläubiger wie Steuerpflichtige gleichermaßen u.a., daß jeder auf die Belange des anderen Teils Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt. Beide Seiten müssen sich dabei grundsätzlich das Verhalten von in das Steuerrechtsverhältnis eingeschalteten Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
AO 1977 §§ 118, 119 Abs. 1, §§ 155, 157, 125 Abs. 1, § 124 Abs. 3
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind die Erben des am 13.Juni 1974 verstorbenen A. In dessen Einkommensteuersache 1969 sind nach seinem Tode, am 6.Dezember 1976, am 16.November 1979 und am 10.Dezember 1979, Änderungsbescheide ergangen, die zu folgenden Nachforderungen des Beklagten und Revisionsbeklagten, des Finanzamts (FA) führten:
390 381 DM Einkommensteuer
34 608 DM Kirchensteuer
11 711 DM Ergänzungsabgabe
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436 700 DM insgesamt.
Die Beträge sind entrichtet worden, die Zahlungstermine jedoch weder festgestellt noch aus den Akten ersichtlich. Ungeklärt ist auch, für wessen Rechnung gezahlt wurde.
Die Kläger begehren Erstattung dieser Beträge mit der Begründung, die Änderungsbescheide seien wegen unzureichender Adressatenbezeichnung nichtig. Dem liegt im einzelnen folgender Sachverhalt zugrunde:
Die jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Kläger, vor allem Steuerberater B, berieten schon den Erblasser in seinen steuerlichen Angelegenheiten. Die am 22.April 1971 beim FA eingegangene Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1969 ist (ebenso wie die Erklärungen für 1968, 1970 und 1972) von B unterzeichnet worden, und zwar mit dem Zusatz "i.V.".
In dem gemäß § 100 Abs.2 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufigen Einkommensteuerbescheid für 1969 vom 5.August 1971 setzte das FA die Einkommensteuerschuld des Erblassers für 1969 auf null DM fest und ermittelte (nach Anrechnung von Kapitalertragsteuer) einen Erstattungsbetrag von 56 064 DM und (aus anzurechnender Ergänzungsabgabe zur Kapitalertragsteuer) ein Guthaben von 1 682 DM.
Mitteilungen des Finanzamts X vom 1. und 7.Februar 1972, die jeweils einen Tag später beim FA eingegangen sind und Beteiligungseinkünfte des Erblassers auswiesen, wertete das FA zunächst nicht aus.
Mit Schreiben vom 28.Juni 1974, beim FA eingegangen am 2.Juli 1974, teilte B dem FA folgendes mit:
"... Herr A ... ist am 13.Juni 1974 verstorben. Die A'sche
Familienstiftung ist dazu bestimmt worden, die Nachlaßangelegenheiten zu
regeln. Zum Vorsitzenden des Vorstands dieser Stiftung wurde der ...
Unterzeichnende gewählt. Wir bitten daher höflich, die für Herrn A
bestimmten Steuerbescheide an unsere Adresse zu senden ..."
Am 6.Dezember 1976 erließ das FA unter Berufung auf § 225 AO einen endgültigen Bescheid, in dem es u.a. die Beteiligungseinkünfte des Erblassers berücksichtigte und die Einkommensteuerschuld für 1969 auf 518 790 DM festsetzte (außerdem Kirchensteuer in Höhe von 40 068 DM und Ergänzungsabgabe in Höhe von 15 563 DM). Der Bescheid und die als Anlage hierzu beigefügte Zusammenstellung von Steuernachforderungen trug die Steuernummer des Erblassers und war gerichtet an:
"Herrn
A
z.H.d. Herrn B ...".
In den Erläuterungen zum Bescheid heißt es:
"Die Änderung erfolgt auf Grund von Mitteilungen des Finanzamts X.
Dieser Bescheid ändert den Bescheid vom 5.8.1971".
Gegen diesen Bescheid legten die Prozeßbevollmächtigten mit Schreiben vom 14.Dezember 1976 "im Auftrage der Erben des verstorbenen Herrn A ..." Einspruch ein und behielten sich vor, diesen Rechtsbehelf im einzelnen zu begründen, sobald hinsichtlich der Einkünfte aus der Firma C Klarheit bestehe. Im Hinblick auf einen wegen dieser Beteiligungseinkünfte geführten Rechtsstreit baten die Prozeßbevollmächtigten außerdem in einem Schreiben vom gleichen Tag um Stundung der Steuerabschlußzahlungen für 1969.
In gleicher Weise bezeichnet war ein drittes Schreiben der Prozeßbevollmächtigten vom 14.Dezember 1976, das neben der Steuerfestsetzung für 1969 die endgültigen Steuerbescheide für 1965, 1967 und 1968, ebenfalls vom 6.Dezember 1976 datierend, betraf.
Auch zwei weitere Änderungsbescheide zur Einkommensteuer 1969 vom 16.November und 10.Dezember 1979 (danach Einkommensteuer zuletzt 446 445 DM, Kirchensteuer 34 608 DM, Ergänzungsabgabe 13 393 DM) waren --ebenso wie elf weitere, andere Veranlagungszeiträume betreffende Steuerbescheide seit 1974-- an den Erblasser z.H. des B gerichtet. Nichts wesentlich anderes gilt für die im Jahre 1977 zwischen B und FA geführte Korrespondenz zur Aussetzung der Vollziehung und zur Anfechtung des Einkommensteuerbescheides 1969 im Einspruchsverfahren, das mit dem Erlaß des bestandskräftig gewordenen Bescheides vom 10.Dezember 1979 endete. - Im Rahmen dieses letztgenannten Verfahrens richteten die Prozeßbevollmächtigten außerdem am 27.November 1979 ein Schreiben an die Finanzkasse des FA, das im wesentlichen wie folgt lautet: "...
Betr.: Einkommensteuer-Erstattung 1969 für den verstorbenen Herrn A ...
aus dem Einkommensteuerbescheid 1969 ergibt sich für Herrn A ein Guthaben
von DM 26 485,16. Unser Mandant ist am 13.Juni 1974 verstorben. Wie dem
Finanzamt bekannt sein wird, erfolgen sämtliche Steuerzahlungen bzw.
-erstattungen für unseren verstorbenen Mandanten zu Lasten bzw. zugunsten
der A'schen Vermögensverwaltung GbR, an der ausschließlich die Erben des
verstorbenen ... entsprechend ihrer Erbquote beteiligt sind.
Wir bitten daher, das Einkommensteuer-Guthaben 1969 auf das Konto der
A'schen Vermögensverwaltung GbR ... zu überweisen."
In der Einkommensteuersache 1969 wandten sich die Prozeßbevollmächtigten mit Schreiben vom 26.Mai 1986 erneut an das FA. Sie verwiesen auf die Veröffentlichung des Beschlusses des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21.Oktober 1985 GrS 4/84 (BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230). Dieser hätte sie nach Durchsicht der Akten zu der Ansicht gebracht, daß die nach dem Tod des Steuerschuldners für das Jahr 1969 ergangenen Bescheide unwirksam seien, zur Vermeidung des von ihnen ausgehenden Rechtsscheins aufgehoben und die darauf hin geleisteten Zahlungen in Höhe von insgesamt 436 700 DM an die Erben erstattet werden müßten.
Diesen Antrag lehnte das FA mit Verfügung vom 13.August 1986 ab.
Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ebenso erfolglos wie das anschließende Klageverfahren. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, die Zahlungen seien nicht ohne rechtlichen Grund geleistet worden, die zugrunde liegenden Änderungsbescheide nicht als nichtig anzusehen. Sie enthielten eine ausreichende Adressatenbezeichnung. Der Zusatz "als Erbe" sei kein notwendiger Bestandteil dieser Bezeichnung, sondern betreffe nur die rechtliche Begründung des Steuerbescheids. Im Bescheid vom 6.Dezember 1976 aber sei der Steuerschuldner mit der Stiftung (*= Miterbin) insofern ausreichend bezeichnet worden, als dieser sich an den verstorbenen Steuerschuldner zu Händen des B wende. Die Kläger selbst hätten vorgetragen, daß dem FA die Miterbeneigenschaft der Stiftung zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sei. Zwar fehle im Bescheid der Name der Stiftung. Dies entspreche jedoch dem Gesetz, denn nach § 7 Abs.2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) in der damals gültigen Fassung habe bei juristischen Personen an ihre "Vorsteher" zugestellt werden müssen. Dies aber sei im Streitfall B gewesen. Insgesamt sei der Steuerschuldner ausreichend bezeichnet gewesen, denn eine auf verständiger Würdigung aller maßgeblichen Umstände beruhende Auslegung des Bescheides vom 6.Dezember 1976 ergebe, daß die Stiftung (als Erbin) in Anspruch genommen und B als deren gesetzlicher Vertreter angesprochen sein sollte. Damit sei die Stiftung als Miterbin hinlänglich bestimmt gewesen. Die übrigen Miterben hätten im Bescheid nicht erwähnt werden müssen (BFH-Urteil vom 28.Juni 1984 IV R 204-205/82, BFHE 141, 461, BStBl II 1984, 784). - Schließlich stehe diesen auch kein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs.2 AO 1977 zu. Denn sie seien nicht als Gesamtschuldner der Einkommensteuer, Kirchensteuer und Ergänzungsabgabe 1969 in Anspruch genommen worden. Es sei daher nicht erkennbar, daß die Stiftung auch für deren Rechnung Zahlungen geleistet haben sollte. Vielmehr habe die Stiftung als allein in Anspruch genommene Steuerschuldnerin nur ihre eigenen Steuerschulden getilgt.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts. Sie sind der Meinung, die Bescheide vom 6.Dezember 1976, vom 16.November und 10.Dezember 1979 seien unwirksam, denn sie ließen nicht in der erforderlichen unzweideutigen Weise erkennen, wer als Steuerschuldner angesehen werde. Daß die Familienstiftung als Steuerschuldnerin in Betracht komme, ergebe sich weder aus dem Bescheid noch aus den sonstigen Umständen, auch nicht aus der Mitteilung vom 28.Juni 1974. Es müsse also davon ausgegangen werden, daß die Familienstiftung als Miterbin dem FA gar nicht bekannt gewesen sei. Insoweit sei aus der Sicht des FA weitere Sachverhaltsermittlung erforderlich gewesen. - Der Erstattungsanspruch sei auch begründet, Verjährung insoweit nicht eingetreten, weil ein (wirksamer) Erstattungsbescheid noch nicht ergangen sei. - In der Würdigung des FG schließlich, allenfalls die Stiftung sei erstattungsberechtigt, liege ein Verstoß gegen den eindeutigen Akteninhalt, zumal dem FA im Schreiben vom 29.November 1979 mitgeteilt worden sei, daß die den Erblasser betreffenden Steuerzahlungen von allen Erben bzw. für Rechnung aller Erben durch die GbR geleistet worden seien, an der die Erben entsprechend ihrer Erbquote beteiligt seien.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil, den Ablehnungsbescheid vom 13.August 1986 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 18.November 1986 sowie die Steuerbescheide für 1969 vom 6.Dezember 1976, vom 16.November und 10.Dezember 1979 aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Betrag von 436 700 DM zu erstatten, hilfsweise, das FA zur Aufhebung der für unwirksam gehaltenen Bescheide zu verpflichten bzw., die Nichtigkeit dieser Bescheide festzustellen und das FA zu einer entsprechenden Erstattungsleistung zu verurteilen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Soweit die Kläger Erstattung begehren, ist ihre Klage unbegründet. Die nach dem Tod des Erblassers ergangenen Änderungsbescheide zur Einkommensteuerfestsetzung, Kirchensteuer und Ergänzungsabgabe 1969 sind zwar nichtig, die Kläger aber wegen allgemeiner Rechtsgrundsätze gehindert, hieraus hergeleitete Erstattungsansprüche zu verwirklichen.
a) Die Änderungsbescheide vom 6.Dezember 1976, 16.November und 10.Dezember 1979 sind nichtig und daher rechtsunwirksam (§§ 125 Abs.1, 124 Abs.3 AO 1977).
Ein Steuerverwaltungsakt muß bestimmt und unzweideutig eine Regelung i.S. des § 118 Satz 1 AO 1977 treffen. Aus dem Verwaltungsakt selbst muß sich mit hinreichender Bestimmtheit (§ 119 Abs.1 AO 1977) ergeben, wem gegenüber die Regelung getroffen werden soll (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14.Aufl., 1965/91, § 119 AO 1977 Tz.2). Für Steuerbescheide ist in § 157 Abs.1 Satz 2 AO 1977 ausdrücklich klargestellt, daß sie angeben müssen, wer die Steuer schuldet. Fehler, die hinsichtlich der Bezeichnung des Steuerschuldners im Bescheid unterlaufen sind, können nicht durch Richtigstellung im weiteren Verfahren geheilt werden, auch nicht dadurch, daß sich derjenige, der einen solchen mangelhaften Bescheid erhalten hat, tatsächlich als Adressat ansieht (BFH-Beschluß in BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230, m.w.N. --unter C I 1--; zur Unheilbarkeit solcher Mängel auch BFH-Urteil vom 26.März 1991 VIII R 210/85, BFH/NV 1992, 73, 74). Das gilt für das alte wie das neue Abgabenrecht gleichermaßen (BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230, zu II 1.) und bedeutet für Fälle der streitigen Art, daß Bescheide nach dem Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge an den Rechtsnachfolger gerichtet werden müssen (BFH, a.a.O., zu C I 2., m.w.N.; vgl. auch BFH-Urteile vom 7.April 1987 VIII R 260/84, BFHE 150, 390, BStBl II 1987, 768; vom 30.September 1987 II R 42/84, BFHE 151, 460, BStBl II 1988, 120; vom 17.Juli 1986 V R 37/77, BFH/NV 1987, 111, 112; vom 21.Juli 1987 IX R 80/83, BFH/NV 1988, 213, 214; und BFH-Urteil vom 10.Juli 1991 VIII R 16/90, BFH/NV 1992, 223 f.).
Die genaue Bezeichnung des Steuerschuldners muß zwar nicht unbedingt im "Anschriftenfeld" enthalten sein (BFH-Urteil vom 10.November 1988 IV R 15/86, BFH/NV 1989, 499, 500). Sie muß sich aber aus dem Bescheid selbst ergeben (BFH in BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230 --zu C I 1.--; BFH/NV 1992, 73, 74; vgl. auch BFH-Urteil vom 6.Oktober 1987 VIII R 82/87, BFH/NV 1988, 216, 217), und zwar mit solcher Deutlichkeit, daß Verwechslungen hinsichtlich des Steuerschuldners ausgeschlossen sind (BFH-Urteile vom 12.November 1985 VIII R 364/83, BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311, und in BFH/NV 1988, 216, 217).
Daran fehlt es bei den Bescheiden vom 6.Dezember 1976, 16.November 1979 und 10.Dezember 1979, weil sie als Inhaltsadressaten den verstorbenen Steuerschuldner bezeichneten.
Der jeweils angefügte Zusatz "z.Hd. Herrn ... B. ..." ändert hieran nichts, weil er erkennbar nur ein wie auch immer geartetes Vertretungsverhältnis angibt, nicht aber auf Steuerschuldnerschaft hindeutet. Daß B nicht nur Zustellungsbevollmächtigter der Erben, sondern auch gesetzlicher Vertreter der Klägerin zu 5 war, ändert an der mangelhaften Bezeichnung des Inhaltsadressaten nichts, und zwar unabhängig davon, ob das FA die Rechtsnachfolgeverhältnisse im einzelnen kannte oder nicht. Zur Bestimmung des Mindestinhalts eines Steuerbescheids kommt es allein darauf an, was zumindest andeutungsweise in seinem Text zum Ausdruck gebracht worden ist. Dies folgt vor allem aus der Titelfunktion der Steuerbescheide (§§ 218 Abs.1, 249 ff. AO 1977; Gräber, Finanzgerichtsordnung, Kommentar. 2.Aufl. 1987, Rz.10 vor § 40).
b) Die Kläger sind jedoch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert, aus der Nichtigkeit der Änderungsbescheide abgeleitete Erstattungsansprüche (§ 37 Abs.2 AO 1977) durchzusetzen.
Die Grundsätze von Treu und Glauben gebieten es innerhalb eines bestehenden Steuerrechtsverhältnisses (BFH-Urteile vom 18.März 1986 VII R 55/83, BFHE 146, 294, 297; vom 13.Mai 1987 VII R 37/84, BFHE 150, 108, 112, BStBl II 1987, 606, 608; vom 9.März 1988 I R 262/83, BFHE 153, 38, 43, BStBl II 1988, 592, 595; vom 11.Oktober 1988 VIII R 419/83, BFHE 155, 298, 306, BStBl II 1989, 284, 288; vom 9.August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, 34, BStBl II 1989, 990, 992; Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO Tz.56) für Steuergläubiger wie Steuerpflichtigen gleichermaßen (BFH-Urteile vom 26.Juli 1972 I R 224/70, BFHE 107, 343, BStBl II 1973, 87, 89, und vom 7.November 1990 X R 143/88, BFHE 163, 329, BStBl II 1991, 325, 326) u.a., daß jeder auf die Belange des anderen Teils Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt (BFH in BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990). Beide Seiten müssen sich dabei grundsätzlich das Verhalten von in das Steuerrechtsverhältnis eingeschalteten Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen (BFH in BFHE 163, 329, BStBl II 1991, 325). Zu den nicht generell und abstrakt festgelegten Rechtsfolgen, die einen Beteiligten am Steuerrechtsverhältnis aus treuwidrigem Verhalten treffen können (BFH in BFHE 158, 31, 34, BStBl II 1989, 990, 992), kann es auch gehören, daß er die Befugnis verliert, aus der Nichtigkeit eines Steuerverwaltungsakts abgeleitete Rechte, wie vor allem Erstattungsansprüche (§ 37 Abs.2 AO 1977), geltend zu machen.
Eine solche Begrenzung kann sich, und zwar für beide Seiten eines konkreten Steuerrechtsverhältnisses, aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen von Treu und Glauben ausnahmsweise dann ergeben, wenn die Berufung auf die Nichtigkeit zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde (vgl. zur ähnlichen Problemlage im Zivilrecht: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.Juni 1988 II ZR 143/87, Neue Juristische Wochenschrift 1989, 166, 167 mit weiteren Nachweisen). Das aber wäre hier der Fall. Die Kläger, die Rechtsnachfolger des verstorbenen Steuerschuldners in die dem Klageanspruch zugrunde liegenden Steuerrechtsverhältnisse, bzw. ihr Bevollmächtigter, haben sich vom Bekanntwerden des Erbfalls an, mit dem durch sie mitveranlaßten Mangel in der Bestimmtheit des Inhaltsadressaten nicht nur jahrelang abgefunden. Sie selbst haben ihn in ihrer umfangreichen Korrespondenz mit dem FA und in förmlichen Verfahren auch aufrechterhalten - bis hin zu dem Schreiben an die Finanzkasse vom 27.November 1979, mit dem sie durch ihren Bevollmächtigten erfolgreich Erstattung eines Guthabens aus Einkommensteuer 1969 verlangten. Der das Veranlagungsverfahren 1969 förmlich abschließende Änderungsbescheid vom 10.Dezember 1979 war ebenfalls mit dem Bestimmtheitsmangel behaftet, sorgte aber gleichwohl dafür, daß dieser Veranlagungszeitraum nunmehr aus der Sicht beider Seiten als abschließend geregelt galt, und zwar 6 1/2 Jahre hindurch. Wenn sich die Kläger nach einer solch langen Zeit des Rechtsfriedens allein zu Erstattungszwecken auf einen von ihnen mitzuverantwortenden Bestimmtheitsmangel berufen, der zuvor, als es noch um die Verwirklichung der Steueransprüche für 1969 ging, auch bei ihnen selbst tatsächlich keinerlei Unklarheiten bewirkt hatte, dann ist dies rechtsmißbräuchlich.
Selbst wenn daher alle gesetzlichen Voraussetzungen des mit der Klage geltend gemachten Erstattungsanspruchs erfüllt wären, stünden die Grundsätze von Treu und Glauben seiner Verwirklichung entgegen.
c) Unter diesen Umständen kommt es auf die Frage der Erstattungsberechtigung der Kläger und der Verjährung des Erstattungsanspruchs nicht an. Unerörtert kann deshalb auch bleiben, ob die Durchsetzung des Erstattungsanspruchs nicht daran scheitern würde, daß sich die Kläger den Rechtsgrundsatz entgegenhalten lassen müssen, wonach niemand etwas verlangen darf, was er alsbald wieder herausgeben muß.
2. Soweit die Kläger Aufhebung der Änderungsbescheide wegen Nichtigkeit bzw. Feststellung der Nichtigkeit begehren, ist ihre Klage unzulässig.
Zwar bedeutet die Unwirksamkeit der Änderungsbescheide (§ 124 Abs.3 AO 1977; s.o. zu 1 a), eben wegen der Schwere der Fehlerhaftigkeit grundsätzlich, daß sie keinerlei Rechtswirkungen erzielen können und sich jedermann jederzeit auf die Nichtigkeit berufen darf (Tipke/Lang, Steuerrecht, 13.Aufl., S.676). Dies gilt aber nicht uneingeschränkt und ausnahmslos. Schon das Gesetz selbst macht die Feststellungsbefugnis vom berechtigten Interesse des Betroffenen abhängig (§ 125 Abs.5 2.Halbs. AO 1977). Weitere Begrenzungen können sich für das Prozeßrecht aus der Klagebefugnis ergeben (vgl. BFH-Urteil vom 11.April 1991 V R 86/85, BFHE 164, 219, BStBl II 1991, 729) oder, wie im Streitfall, daraus, daß sich der Kläger mit der gerichtlichen Geltendmachung der Nichtigkeit zu eigenem früheren Verhalten in Widerspruch setzt (s. dazu unter 1 b).
Fundstellen
Haufe-Index 64128 |
BFH/NV 1993, 5 |
BStBl II 1993, 174 |
BFHE 169, 103 |
BFHE 1993, 103 |
BB 1993, 569 (LT) |
DB 1993, 259-260 (LT) |
DStR 1993, 92 (KT) |
DStZ 1993, 505 (KT) |
StE 1993, 8 (K) |