Entscheidungsstichwort (Thema)
(Jährlich wiederkehrende Sonderausgaben: Verrechnung von Erstattungen)
Leitsatz (amtlich)
Wird dem Steuerpflichtigen (nach)gezahlte Kirchensteuer teilweise erstattet, weil er der Kirche nicht angehört hat, kann er bei der Veranlagung für das Jahr der (Nach-)Zahlung nur die Differenz zwischen (nach)gezahlter und erstatteter Kirchensteuer als Sonderausgaben abziehen. Das gilt auch dann, wenn erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums der (Nach-)Zahlung geklärt wird, daß der Steuerpflichtige die Kirchensteuer mangels Kirchenmitgliedschaft nicht geschuldet hat.
Orientierungssatz
Als Sonderausgaben abziehbar sind nur solche Aufwendungen, durch die der Steuerpflichtige endgültig wirtschaftlich belastet ist. Werden Aufwendungen in einem späteren Jahr erstattet, liegt keine endgültige wirtschaftliche Belastung und in Höhe der Erstattung somit keine Aufwendung i.S. des § 10 Abs.1 Satz 1 EStG vor. Die Erstattung wäre daher an sich durch die Kürzung des Sonderausgabenabzugs im Zahlungsjahr zu berücksichtigen. Aus Gründen der Praktikabilität und auch der Rechtskontinuität hält der Senat bei in der Regel jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben wie Kirchensteuer und Versicherungsbeiträgen mit der bisherigen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis am Grundsatz der Verrechnung im Erstattungsjahr fest.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 1 S. 1, Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger hat 1982 seinen Austritt aus der Kirche erklärt.
In dem --unter Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen-- Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1988 vom 12. Juli 1990 berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) --entsprechend der Steuererklärung der Kläger-- Kirchensteuer in Höhe von 16 542 DM als Sonderausgaben. Der Betrag setzt sich zusammen aus einer Nachzahlung von 16 916 DM abzüglich einer Erstattung von 374 DM für das Jahr 1987. Die Nachzahlung ergab sich aus den geänderten Einkommensteuer- und Kirchensteuerbescheiden für 1980 bis 1986.
Der Kläger hatte bereits im Jahr 1986 Zweifel an seiner früheren Mitgliedschaft in der Kirche geäußert. Im Einspruchsverfahren gegen die vom FA im Jahr 1990 erlassenen weiteren Einkommensteuer- und Kirchensteueränderungsbescheide für 1978 bis 1982 machte er erneut geltend, er sei nie Mitglied der Kirche gewesen. Der Einspruch hatte im wesentlichen Erfolg. Aufgrund der Abrechnungsbescheide vom 28. September 1990 erstattete das FA den Klägern für die Jahre 1978 bis 1982 Kirchensteuer in Höhe von 16 175 DM. Davon entfielen 13 075 DM auf die Jahre 1980 bis 1982.
In dem --aufgrund einer Außenprüfung nach § 164 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten-- Einkommensteuerbescheid für 1988 vom 10. Juni 1991 berücksichtigte das FA wegen der im Jahr 1990 erstatteten Beträge zunächst überhaupt keine Kirchensteuer als Sonderausgabe. Auf den Einspruch der Kläger zog es in der Einspruchsentscheidung von der im Streitjahr 1988 nachgezahlten Kirchensteuer von 16 916 DM die Erstattungen für das Jahr 1987 (= 374 DM) und für die Jahre 1980 bis 1982 (= 13 075 DM) ab. Die Erstattungen für die Jahre 1978 und 1979 ließ das FA unberücksichtigt, weil die Kläger für diese Jahre keine Kirchensteuer als Sonderausgaben geltend gemacht hatten. Es verblieb ein abziehbarer Betrag von 3 467 DM.
Mit der Klage wandten sich die Kläger gegen die Anrechnung der im Jahr 1990 erstatteten Kirchensteuer. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte aus: Die im Streitjahr 1988 nachgezahlte Kirchensteuer sei nicht um die im Jahr 1990 erstattete Kirchensteuer zu kürzen. Erstattete Sonderausgaben könnten grundsätzlich nur mit den im gleichen Veranlagungszeitraum gezahlten Sonderausgaben verrechnet werden. Eine Verrechnung mit Sonderausgaben anderer Jahre komme auch dann nicht in Betracht, wenn Erstattungen höher als gezahlte Sonderausgaben seien. Eine Ausnahme hiervon gelte nur, wenn der Rückforderungsanspruch schon im Jahr der Zahlung feststehe. Der Kläger habe jedoch im Zahlungsjahr 1988 noch nicht mit einer Rückzahlung rechnen können, weil die Kirche erst im Jahr 1990 anerkannt habe, daß er nicht deren Mitglied gewesen sei.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger haben keinen Revisionsantrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Zu Unrecht hat das FG die im Streitjahr 1988 nachgezahlte Kirchensteuer zum Abzug als Sonderausgaben zugelassen, ohne die Erstattung für die Jahre 1980 bis 1982 zu berücksichtigen.
1. Nach § 10 Abs.1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind bestimmte, im einzelnen aufgeführte "Aufwendungen" als Sonderausgaben abziehbar. Hierzu gehört auch die "gezahlte Kirchensteuer" (§ 10 Abs.1 Nr.4 EStG).
a) Aus der Verwendung des Begriffs "Aufwendungen" und aus dem Zweck des § 10 EStG, bestimmte, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen mindernde Privatausgaben vom Abzugsverbot des § 12 EStG auszunehmen, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), daß nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist (vgl. z.B. Urteile vom 22. November 1974 VI R 138/72, BFHE 114, 346, BStBl II 1975, 350; vom 20. Februar 1976 VI R 131/74, BFHE 118, 331; vom 24. September 1985 IX R 2/80, BFHE 145, 507, BStBl II 1986, 284; vom 4. April 1989 X R 14/85, BFHE 157, 88, BStBl II 1989, 779; vom 24. Oktober 1990 X R 43/89, BFHE 162, 425, BStBl II 1991, 175). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung als verfassungsgemäß bestätigt (Beschluß vom 18. Februar 1988 1 BvR 930/86, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1989, 271, unter 1 b).
Keine wirtschaftliche Belastung hat der BFH z.B. angenommen,
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wenn die Aufwendungen aus einer hierfür empfangenen
Gegenleistung erbracht werden können, und zwar unabhängig
davon, ob Gegenleistung und Aufwendungen in den gleichen
Veranlagungszeitraum fallen (BFH-Urteil in BFHE 157, 88,
BStBl II 1989, 779 --kein Abzug von Grabpflegekosten als
dauernde Last--),
- wenn ein durchsetzbarer Ersatzanspruch gegen einen Dritten
besteht (BFH-Urteil in BFHE 118, 331 --kein
Schuldzinsenabzug bei Rückgriffsanspruch des Bürgen--;
vgl. auch BFH-Urteil vom 28. Februar 1996 X R 65/93, BFHE
180, 116 --kein Abzug von Erhaltungsaufwendungen nach §
10e Abs.6 EStG bei Regreßanspruch gegen Verkäufer--),
- wenn bereits im Zeitpunkt der Zahlung erkennbar ist, daß
die Sonderausgaben vom Empfänger zurückerstattet werden
müssen (BFH-Urteil in BFHE 114, 346, BStBl II 1975, 350
--kein Abzug von versehentlich festgesetzten
Kirchensteuervorauszahlungen--).
Aufwendungen des Steuerpflichtigen im Veranlagungszeitraum
werden somit mangels wirtschaftlicher Belastung nicht als
Sonderausgaben berücksichtigt, soweit sich bereits im
Zeitpunkt der Zahlung absehen läßt, daß die Aufwendungen von
einem Dritten oder vom Empfänger zu erstatten sind.
Unerheblich ist, ob die Erstattung in den Veranlagungszeitraum
der Aufwendungen oder in einen späteren Zeitraum fällt.
b) Bei den in der Regel jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben wie Kirchensteuern und Versicherungsbeiträgen steht häufig die endgültige Belastung im Zahlungsjahr noch nicht fest, weil dem Steuerpflichtigen nach Ablauf des Veranlagungszeitraums ein Teil der Versicherungsbeiträge rückerstattet wird oder sich die --von der Höhe der festgesetzten Einkommensteuer abhängige-- Kirchensteuer mindert. In diesen Fällen sind nach ständiger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis die erstatteten Beträge mit den im Jahr der Erstattung gezahlten gleichartigen Sonderausgaben zu verrechnen, so daß nur der Saldo zum Abzug als Sonderausgaben verbleibt (zur Verrechnung von Kirchensteuer: BFH-Urteile vom 27. September 1963 VI 123/62 U, BFHE 77, 592, BStBl III 1963, 536, und in BFHE 114, 346, BStBl II 1975, 350; Abschn.101 Abs.3 Satz 1 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR-- 1987; H 86a Amtliches Einkommensteuer-Handbuch --EStH-- 1995; zur Verrechnung von Beitragsrückerstattungen: BFH-Urteile vom 20. Februar 1970 VI R 11/68, BFHE 98, 357, BStBl II 1970, 314; vom 27. Februar 1970 VI R 314/67, BFHE 98, 412, BStBl II 1970, 422; Abschn.88 Abs.6 Satz 1 EStR 1987; H 86a EStH 1995).
Bisher offen gelassen hat der BFH, ob und ggf. wie es sich steuerlich auswirkt, wenn die Erstattungen in einem Veranlagungszeitraum die Zahlungen übersteigen. In der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, ein Überschuß wirke sich steuerlich nicht aus. Er dürfe weder in späteren Veranlagungszeiträumen verrechnet werden noch dürfe die Veranlagung des Zahlungsjahres geändert werden, weil die Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug im Zahlungsjahr erfüllt gewesen seien (vgl. z.B. Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 10 EStG Anm.22a; Blümich/Hutter, Einkommensteuergesetz, § 10 Rz.33; Stephan in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 10 EStG Rz.6). Kirchhof/ Söhn (Einkommensteuergesetz, § 10 Rz.B 54 ff.) lehnen eine Verrechnung entrichteter und erstatteter Sonderausgaben grundsätzlich ab. Sie sei zwar praktikabel, aber nicht gesetzlich vorgesehen. Vielmehr müsse die Steuerfestsetzung des Veranlagungszeitraums, in dem die erstatteten Sonderausgaben abgeflossen und steuermindernd berücksichtigt worden seien, nach § 173 Abs.1 Nr.1 oder § 175 Abs.1 Nr.2 AO 1977 geändert werden, wenn in Höhe des zurückgezahlten Betrages endgültig keine zwangsläufige Ausgabe des Zahlungsjahres vorliege.
2. Nach Auffassung des Senats bestehen zwar gegen die Verrechnung erstatteter Kirchensteuer mit der im Jahr der Erstattung gezahlten Kirchensteuer aus systematischen Gründen Bedenken. Als Sonderausgaben abziehbar sind nur solche Aufwendungen, durch die der Steuerpflichtige endgültig wirtschaftlich belastet ist (s. II. 1. a). Werden die Aufwendungen in einem späteren Jahr erstattet, liegt keine endgültige wirtschaftliche Belastung und in Höhe der Erstattung somit keine Aufwendung i.S. des § 10 Abs.1 Satz 1 EStG vor. Die Erstattung wäre daher an sich durch die Kürzung des Sonderausgabenabzugs im Zahlungsjahr zu berücksichtigen.
Dies hätte aber bei den in der Regel jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben wie der Kirchensteuer und den Versicherungsbeiträgen zur Folge, daß zahllose Veranlagungen bei zum Teil nur geringfügigen Erstattungen zu ändern wären. Aus Gründen der Praktikabilität und auch der Rechtskontinuität hält der Senat daher mit der bisherigen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis am Grundsatz der Verrechnung im Erstattungsjahr fest. Denn bei Sonderausgaben, die wie die Kirchensteuer und Versicherungsbeiträge regelmäßig jährlich wiederkehren und aufgrund geänderter Einkommensteuerfestsetzungen oder aufgrund von Beitragserstattungen der Versicherungsgesellschaften in einem späteren Jahr (teilweise) erstattet werden, ist es nach Auffassung des Senats hinnehmbar, die aufgrund der Erstattung entfallende wirtschaftliche Belastung durch Verrechnung mit den im Erstattungsjahr zu zahlenden gleichartigen Sonderausgaben zu berücksichtigen. Zu Recht hat das FA daher die Teilerstattung der im Jahr 1987 von der Klägerin gezahlten Kirchensteuer mit der Nachzahlung im Jahr 1988 verrechnet.
Werden jedoch --wie im Streitfall-- Kirchensteuer(nach)zahlungen ohne Rechtsgrund geleistet, weil der Steuerpflichtige nie Mitglied der Kirche war, und werden diese zu Unrecht geleisteten Zahlungen nach Änderung der Kirchensteuerbescheide in einem späteren Veranlagungszeitraum erstattet, ist eine Ausnahme von der steuersystematisch richtigen Korrektur im Zahlungsjahr nicht hinreichend begründet. Die Auffassung des FG, erstattete Sonderausgaben könnten, sofern der Rückforderungsanspruch nicht schon im Zahlungsjahr feststehe, stets nur mit gleichartigen Sonderausgaben im Jahr der Erstattung verrechnet werden, würde zu ungerechtfertigten Steuervorteilen führen, weil gleichartige Sonderausgaben im Erstattungsjahr nicht angefallen sind. Der Steuerpflichtige würde steuerlich entlastet, obwohl er wegen der Erstattung der Kirchensteuer wirtschaftlich nicht endgültig belastet ist. Den Sonderausgabenabzug nur dann zu versagen, wenn bereits im Zahlungszeitpunkt abzusehen ist, daß die Aufwendungen in einem späteren Veranlagungsjahr zurückgezahlt werden, hält der Senat für nicht vertretbar. Die im Veranlagungszeitraum aufgrund einer Steuerfestsetzung gezahlte Kirchensteuer ist daher auch dann nicht als Sonderausgaben abziehbar, wenn erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums geklärt wird, daß der Steuerpflichtige die Kirchensteuer mangels Kirchenmitgliedschaft nicht geschuldet hat. Ist der Einkommensteuerbescheid für das Zahlungsjahr --wie hier-- noch nicht bestandskräftig, ist daher der Sonderausgabenabzug um die nachträgliche Erstattung zu mindern. Offenlassen kann der Senat, ob ein bereits bestandskräftiger Bescheid nach § 175 AO 1977 zu ändern wäre.
3. Im Streitfall hat der Kläger im Jahr 1982 ausdrücklich seinen Austritt aus der Kirche erklärt. Bereits im Jahr 1986 - -also schon vor der Nachzahlung der Kirchensteuer im Streitjahr 1988-- hat er Zweifel an seiner früheren Kirchenmitgliedschaft geäußert. Erst im Jahr 1990 wurde aber anerkannt, daß er nie Mitglied der Kirche war und daraufhin im September 1990 Kirchensteuer u.a. für die Jahre 1980 bis 1982 erstattet. Zu Recht hat das FA bei der endgültigen Veranlagung für das Streitjahr 1988 (Einkommensteuerbescheid vom 10. Juni 1991) von den als Sonderausgaben geltend gemachten Kirchensteuernachzahlungen für die Jahre 1980 bis 1986 die Erstattung für die Jahre 1980 bis 1982 abgezogen und wegen fehlender wirtschaftlicher Belastung nur den Differenzbetrag zum Abzug zugelassen.
Fundstellen
Haufe-Index 65849 |
BFH/NV 1997, 40 |
BStBl II 1996, 646 |
BFHE 181, 144 |
BFHE 1997, 144 |
BB 1996, 2502 |
BB 1996, 2502-2504 (LT) |
DB 1996, 2471-2472 (LT) |
DStR 1996, 1928-1929 (KT) |
DStZ 1997, 152-153 (LT) |
HFR 1997, 81-83 (L) |
StE 1996, 762 (K) |