Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung können auch unter Geltung des § 12 Nr. 5 EStG als vorab entstandene Werbungskosten anzuerkennen sein. § 12 Nr. 5 EStG lässt ebenso wie § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG den Vorrang des Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenabzugs unberührt.
Normenkette
§ 12 Nr. 5, § 9 Abs. 1 S. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 7, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
K absolvierte ab Juli 2004 seine erstmalige Berufsausbildung als Verkehrspilot bei F, einer Tochtergesellschaft der F-Airline. K entstanden dafür Ausbildungskosten von 27 879 EUR. Die F-Airline stellte K im Anschluss an die Ausbildung ab März 2006 als Verkehrsflugzeugführer an, nachdem sie ihm bereits im Jahr 2005 eine dementsprechende Zusage erteilt hatte. K beantragte mit seiner ESt-Erklärung 2004, einen verbleibenden Verlustvortrag von 27 879 EUR festzustellen, weil die Ausbildungskosten vorweggenommene Werbungskosten für seine künftige nicht selbstständige Tätigkeit als Pilot seien. Das FA lehnte das mit Hinweis auf § 12 Nr. 5 EStG ab. Die Klage dagegen blieb erfolglos (FG Saarland, Urteil vom 04.05.2010, 1 K 2357/05, Haufe-Index 2360753, EFG 2010, 1686).
Entscheidung
Der BFH beurteilte die Aufwendungen des Klägers für dessen Berufspilotenausbildung grundsätzlich als vorweggenommene Werbungskosten. Zwischen den Aufwendungen und der späteren, der Einkünfteerzielung dienenden Berufstätigkeit des Klägers als Pilot bestand ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang. Der BFH verwies die Sache an das FG zurück, damit die als vorweggenommene Werbungskosten geltend gemachten Aufwendungen festgestellt und nach ihrem Veranlassungszusammenhang beurteilt werden können.
Hinweis
Das hier vorliegende Besprechungsurteil sowie das nachstehende Urteil vom selben Tag (VI R 7/10, Haufe-Index 2730450) gehen zurück auf die grundlegende Änderung der Rechtsprechung zur einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung von Berufsausbildungskosten (BFH, Urteil vom 04.12.2002, VI R 120/01, BFH/NV 2003, 255, BFH/PR 2003, 97, m.w.N.) und die nachfolgende Reaktion des Gesetzgebers durch den ab 2004 neu eingeführten § 12 Nr. 5 EStG. Nachdem die dazu ergangenen ersten Entscheidungen (BFH, Urteil vom 18.06.2009, VI R 14/07, BFH/NV 2009, 1875, BFH/PR 2009, 405) Ausbildung und Erststudium nach abgeschlossener Berufsausbildung betrafen, behandeln die Urteile hier Erstausbildung und Erststudium unmittelbar nach Schulabschluss.
1. Berufsausbildungskosten können vorweggenommene Werbungskosten i. S. d. § 9 Abs. 1 S. 1 EStG sein, sofern ein hinreichender Veranlassungszusammenhang zwischen Aufwand und späterer Einnahmeerzielung besteht. Denn § 9 EStG enthält keine Sonderregelung für solche Kosten. Der dafür gewährte Sonderausgabenabzug steht dem nicht entgegen. Der Werbungskostenabzug ist, so der Einleitungssatz zu § 10 EStG, gegenüber dem Abzug der Aufwendungen als Sonderausgaben vorrangig. Dieser Vorrang blieb auch durch § 12 Nr. 5 EStG unberührt.
2. Mit den beiden jetzt ergangenen Urteilen entschied der BFH, dass dieser Vorrang des Werbungskostenabzugs auch für Kosten einer erstmaligen Berufsausbildung und für ein Erststudium gilt. Denn § 12 Nr. 5 EStG schließt nicht per se und ausnahmslos Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium vom Abzug aus. Sie sind, so der Einleitungssatz zu § 12 EStG, vielmehr nur insoweit weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen, als "in § 10 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 4, 6, 7 und 9, § 10a, … §§ 33 … nichts anderes bestimmt ist". § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG bestimmt jedoch etwas anderes: Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung sind als Sonderausgaben abziehbar, wenn sie weder Werbungskosten noch Betriebsausgaben sind. § 12 Nr. 5 EStG steht damit unter dem Vorbehalt des vorrangigen Sonderausgabenabzugs, der wiederum unter dem Vorbehalt, dass die Aufwendungen nicht Werbungskosten oder Betriebsausgaben sind. Fazit: Aufwendungen für die erstmalige eigene Berufsausbildung sind auch unter Geltung des § 12 Nr. 5 EStG als Werbungskosten abziehbar, sofern ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen den Aufwendungen und der späteren, auf Einkünfteerzielung gerichteten Berufstätigkeit besteht.
3. § 12 Nr. 5 EStG hat damit klarstellende Bedeutung ähnlich wie § 12 Nr. 1 S. 2 EStG. Dazu gab der jüngste Beschluss des Großen Senats zum Aufteilungs- und Abzugsverbot ein Beispiel (BFH, Beschluss vom 21.09.2009, GrS 1/06, BFH/NV 2010, 285, BFH/PR 2010, 85): Der Berufsskilehrer kann neu angeschaffte Ski als Arbeitsmittel geltend machen, ohne dass dem § 12 Nr. 1 S. 1, 2 EStG entgegensteht, auch wenn solche Kosten bei Hobbyskiläufern zur privaten Lebensführung gehören. Ähnliches regelt § 12 Nr. 5 EStG: Allgemeine Bildungsaufwendungen ohne hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zu einer gegenwärtigen oder künftigen beruflichen Tätigkeit sind auf Grundlage des Anwendungsvorbehalts des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG als Sonderausgaben abziehbar. Besteh...