Leitsatz
Das Tatbestandsmerkmal "vororganschaftlich" in § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG ist nur in zeitlicher, nicht auch in sachlicher Hinsicht zu verstehen; außerorganschaftlich verursachte Mehrabführungen in organschaftlicher Zeit sind nicht erfasst (entgegen Rz Org.33 des sog. Umwandlungssteuererlasses 2011, BMF-Schreiben vom 11.11.2011, BStBl I 2011, 1314).
Normenkette
§ 14 Abs. 3 und 4 KStG
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine börsennotierte Societas Europaea (SE) mit Sitz im Inland. Sie hält sämtliche Geschäftsanteile an der GmbH 1. Zwischen der Klägerin als herrschender Gesellschaft und der GmbH 1 wurde mit Wirkung zum Wirtschaftsjahr 2007 ein Gewinnabführungsvertrag geschlossen. Im Jahr 2008 (Streitjahr) erwirtschaftete die GmbH 1 einen von der Klägerin auszugleichenden Jahresfehlbetrag i.H.v. ... EUR.
Die GmbH 1 war ihrerseits alleinige Gesellschafterin der GmbH 2 und der ... AG (AG). Zwischen der GmbH 1 und ihren beiden Tochtergesellschaften bestanden keine Gewinnabführungsverträge.
Mit notariellem Vertrag vom 28.8.2008 wurde die GmbH 2 zum 1.3.2008 auf die GmbH 1 verschmolzen. Der Verschmelzung lag die auf den 29.2.2008 erstellte Handelsbilanz der GmbH 2 zugrunde. Außerdem wurde die AG mit notariellem Vertrag vom 23.12.2008 zum 1.10.2008 auf die GmbH 1 verschmolzen. Der Verschmelzung lag die auf den 30.9.2008 erstellte Handelsbilanz der AG zugrunde.
Sowohl die GmbH 2 als auch die AG beantragten, die bei der Verschmelzung übergehenden Wirtschaftsgüter in ihrer steuerlichen Schlussbilanz gemäß § 11 Abs. 2 UmwStG mit dem Buchwert anzusetzen.
In der Steuerbilanz der GmbH 1 zum 31.12.2008 wurden die betreffenden Wirtschaftsgüter hingegen gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 UmwStG jeweils mit 0 EUR angesetzt.
Die sich aus der Differenz zwischen dem handels- und dem steuerbilanziellen Ansatz ergebende Mehrabführung i.H.v. insgesamt ... EUR behandelte die Klägerin als organschaftlich i.S.v. § 14 Abs. 4 KStG und bildete in ihrer Steuerbilanz einen besonderen passiven Ausgleichsposten in gleicher Höhe (§ 14 Abs. 4 Satz 1 KStG). Bei der GmbH 1 wurde das Einlagekonto entsprechend gemindert (§ 27 Abs. 6 KStG).
Im Rahmen einer Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, dass es sich bei den durch die Verschmelzungen der GmbH 2 und der AG auf die GmbH 1 und die damit verbundene Aufdeckung der stillen Reserven in der Handelsbilanz entstandenen Mehrabführungen nach Rz Org.33 des Umwandlungssteuererlasses 2011 (BStBl I 2011, 1314) um außer- bzw. vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen handele, die als Gewinnausschüttungen an den Organträger zu behandeln seien. Die Bildung des besonderen passiven Ausgleichspostens wurde dementsprechend wieder rückgängig gemacht. Der Ansatz des zusätzlichen Beteiligungsertrags führte bei der Klägerin nach § 8b Abs. 1, 5 KStG im Ergebnis zu einer Einkommenserhöhung i.H.v. ... EUR × 5 % = ... EUR. Dem folgte das FA und erließ für die Klägerin einen geänderten KSt-Bescheid für 2008.
Das FG gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.9.2019, 1 K 1418/18, Haufe-Index 13582123, EFG 2020, 61).
Entscheidung
Der BFH wies die dagegen eingelegte Revision des FA als unbegründet ab. Zur Begründung siehe die Praxis-Hinweise.
Hinweis
1. Mit der Besprechungsentscheidung hat sich der BFH in einer wichtigen Frage der ertragsteuerlichen Organschaft gegen die im Umwandlungssteuererlass niedergelegte Auffassung der Finanzverwaltung gestellt.
2. Es ging um eine sehr grundsätzliche Frage der zugegebenermaßen nicht ganz einfachen Materie der organschaftlichen Mehr- oder Minderabführungen. Zu diesen kommt es typischerweise dann, wenn der der Gewinnabführungsverpflichtung unterliegende handelsrechtliche Gewinn nicht mit dem Steuerbilanzgewinn, der wiederum Grundlage des gemäß § 14 Abs. 1 KStG zuzurechnenden körperschaftsteuerrechtlichen Einkommens der Organgesellschaft ist, übereinstimmt.
3. Sieht man ins Gesetz, dann gibt es auf den ersten Blick nur zwei Kategorien von Mehr- oder Minderabführungen. Diese können vororganschaftlich oder organschaftlich sein. Nach der Entscheidung des BFH ändert sich daran auch nach einem zweiten Blick ins Gesetz nichts mehr: "Tertium non datur" könnte man sagen, es gibt keine dritte Kategorie. Eine solche kennt aber der Umwandlungssteuererlass, wenn er von "außerorganschaftlichen" Abführungen spricht.
4. Dass der BFH die Kategorie der außerorganschaftlichen Mehr- oder Minderabführung in der Besprechungsentscheidung nicht "anerkannt" hat, folgt insbesondere aus dem Gesetzeswortlaut. So spricht das Gesetz in § 14 Abs. 3 und 4 KStG von Abführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher bzw. organschaftlicher Zeit haben. Auch Sinn und Zweck der Regelung sowie deren Entstehungsgeschichte sprechen nicht dafür, dass der Gesetzgeber von der Existenz einer außerorganschaftlichen Abführung ausgegangen sein könnte. Des Weiteren macht das Gesetz die Unterscheidung zwischen vororganschaftlich und organschaftlich rein zeitlich fest. Auch dies folgt mit hinreichende...