Leitsatz
1. Die Abfindung, die der Gesellschafter-Geschäftsführer, der seine GmbH-Anteile veräußert, für den Verzicht auf seine Pensionsansprüche gegen die GmbH erhält, kann eine Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG sein.
2. Eine an die Geschäftsführertätigkeit anschließende Beratungstätigkeit kann im Einzelfall nicht als Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses angesehen werden.
Normenkette
§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG , § 34 Abs. 1 EStG
Sachverhalt
Der im Jahr 1937 geborene Kläger war zu 99 % an einer GmbH beteiligt, deren alleiniger Geschäftsführer er war. Die GmbH hatte ihm von der Vollendung des 65. Lebensjahres an ein lebenslanges Ruhegeld mit dem Recht zugesagt, bei Eintritt des Versorgungsfalls anstelle der Rente eine einmalige Kapitalabfindung in Höhe des Barwerts der Rentenverpflichtung zu verlangen.
Ende 1998 veräußerte der Kläger seine GmbH-Anteile. Dabei machten die Erwerber den Kauf davon abhängig, dass die Versorgungsregelung vorher abgewickelt wird. Der Kläger verzichtete auf seine Pensionsansprüche und erhielt dafür die Auszahlungsbeträge der Rückdeckungsversicherung in Höhe von 894 223 DM. Er beendete seine Geschäftsführertätigkeit, erhielt jedoch von den neuen Gesellschaftern einen Beratervertrag für das Jahr 1999.
Das FA versagte für den Abfindungsbetrag die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG. Das FG wies die Klage ab.
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil des FG auf und gab der Klage statt. Der Betrag sei als Entschädigung begünstigt zu besteuern, weil der Kläger unter Zwang gehandelt habe, als er der Ablösung der Altersversorgung zustimmte.
Hinweis
1. Zu den außerordentlichen Einkünften, die noch bis zum Jahr 1998 nach § 34 Abs. 1 EStG a.F. mit dem halben durchschnittlichen Steuersatz besteuert werden konnten, gehören u.a. Entschädigungen, die als Ersatz für entgehende Einnahmen gezahlt werden (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG). Voraussetzung für die Annahme einer solchen Entschädigung ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung, dass der Ausfall der Einnahmen von Dritter Seite veranlasst worden ist. Hat der Steuerpflichtige den Einnahmeausfall selbst herbeigeführt (z.B. durch den Verzicht auf Pensionsansprüche wie im vorliegenden Fall) oder dazu beigetragen (z.B. durch Zustimmung zur Auflösung seines Dienstverhältnisses), liegt eine Entschädigung nur dann vor, wenn er dabei unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck gehandelt hat. Der Steuerpflichtige muss sich also in einer Zwangssituation befunden haben.
Eine solche Zwangssituation hat der BFH hier angenommen. Der Kläger hat zwar freiwillig seine Gesellschaftsanteile verkauft, er hat aber nur unter Druck auf seine Pensionsansprüche verzichtet und sich dafür abfinden lassen, weil der Käufer dies zur Voraussetzung für den Anteilserwerb gemacht hatte.
2. Nach bisheriger Rechtsprechung fehlt es an einer Zwangslage allerdings auch dann, wenn der Steuerpflichtige freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt hat, die ihm später keinen Entscheidungsspielraum mehr belässt; dabei muss sich die Entwicklung der Ursachenkette in einem überschaubaren Rahmen halten (vgl. BFH, Urteil vom 4.9.2002, XI R 53/01, BFH-PR 2003, 86).
Die Prüfung der Ursachenkette hat der BFH hier mit dem Ergebnis vorgenommen, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer, der sich zur Veräußerung seiner GmbH-Anteile entschließt, nicht damit rechnen müsse, dies nur unter gleichzeitigem Verzicht auf seine Pensionsansprüche gegen Abfindung zu erreichen.
3. Das ist eine großzügige Sichtweise, die die Tendenz erkennen lässt, dass der BFH beide Vorgänge – die Anteilsveräußerung und den Verzicht auf laufende Einnahmen – hinsichtlich der Zwangssituation im Grunde getrennt beurteilt. Denn in der Praxis dürfte es der Regelfall sein, dass der Erwerber einer GmbH bestehende Pensionsverpflichtungen nicht mit übernehmen will.
Einen weiteren interessanten Fall wird der BFH demnächst zu entscheiden haben. Dort hat ein Gesellschafter-Geschäftsführer seine GmbH-Anteile verkauft und der Auflösung seines Geschäftsführervertrags gegen Abfindung zugestimmt (XI R 18/02). Ob er mit diesem Verlangen des Käufers rechnen musste, dürfte fast eine rhetorische Frage sein.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 10.4.2003, XI R 4/02