Leitsatz
Geht in einem Schätzungsfall nach Erlass des Steuerbescheids beim FA innerhalb der Einspruchsfrist die Steuererklärung ohne weitere Erklärung ein, so ist dies im Zweifel als Einlegung eines Einspruchs gegen den Schätzungsbescheid – und nicht als (bloßer) Antrag auf schlichte Änderung des Schätzungsbescheids – zu werten.
Normenkette
§ 162 AO , § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO , § 347 AO
Sachverhalt
Das FA schätzte die Umsatzsteuer 1998, weil die Klägerin keine Umsatzsteuererklärung abgegeben hatte. Der Bescheid enthielt eine Rechtsbehelfserklärung. Zusätzlich forderte das FA nochmals die Steuererklärung an mit dem Hinweis, die Schätzung befreie nicht von der Erklärungspflicht. Die Klägerin reichte innerhalb der Einspruchsfrist ohne weitere Erklärung die Umsatzsteuer-Jahreserklärung ein (Überschuss zu ihren Gunsten).
Das FA sah in der Einreichung der Umsatzsteuererklärung einen Antrag auf schlichte Änderung, setzte eine Frist zur Ergänzung diverser Punkte und erläuterte die von ihm beabsichtigte Abweichung von der Erklärung. Mangels Reaktion erließ es einen entsprechenden Änderungsbescheid.
Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch. FA und FG waren der Auffassung, die kommentarlose Abgabe der Erklärung sei – nach dem vorausgegangenen Hinweis des FA – nicht als Einspruch zu verstehen gewesen, die Einspruchsfrist gegen den ersten Bescheid sei deshalb schon abgelaufen.
Entscheidung
Der BFH hob das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA auf; das FA muss nun über den Einspruch entscheiden.
Aber grundsätzlich gilt: Schreiben Sie genau, was Sie erreichen wollen, denn u.U. kann – wegen des Verböserungsverbots – auch ein Antrag auf schlichte Änderung günstiger sein.
Hinweis
Ein Steuerpflichtiger, der die Änderung eines ihm zugegangenen, ihn beschwerenden Steuerbescheids erreichen will, hat hierfür zwei Möglichkeiten: er kann Einspruch einlegen (§ 347 Abs. 1 Satz 1 AO); er kann aber auch nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO den sog. "schlichten Antrag" stellen, den Bescheid aufzuheben oder in bestimmter Weise zu ändern. Der Einspruch unterscheidet sich von einem Antrag nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO in folgenden Punkten:
- er hindert den Eintritt der formellen und materiellen Bestandskraft,
- er kann zur Verböserung führen (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO); der Verböserungsgefahr kann der Steuerpflichtige aber durch rechtzeitige Rücknahme des Einspruchs entgehen;
- er ermöglicht die Aussetzung der Vollziehung.
Ob ein Einspruch oder ein schlichter Änderungsantrag gewollt ist, muss ggf. durch Auslegung geklärt werden. In Zweifelsfällen ist ein Einspruch anzunehmen, da er die Rechte des Steuerpflichtigen umfassender wahrt als ein Antrag nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO. Streitig war im Schrifttum, ob dies auch gilt, wenn nach einem Schätzungsbescheid innerhalb der Einspruchsfrist kommentarlos die Steuererklärung eingereicht wird.
Lässt die Äußerung eines Steuerpflichtigen ungewiss, ob er ein Rechtsmittel einlegen will, so gebietet die Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes im Allgemeinen die Erklärung als Rechtsmittel zu betrachten, um zugunsten des Steuerpflichtigen den Eintritt der Rechtskraft aufzuhalten.
Beachten Sie aber unbedingt: Die kommentarlose Abgabe einer Steuererklärung kann allenfalls – so die Besprechungsentscheidung – als Einspruch, aber nicht als Klage gedeutet werden. Ergeht in einem Schätzungsfall die Einspruchsentscheidung, kann die beim FA ohne weitere Erklärung eingereichte Steuererklärung nicht als Erhebung einer schriftlichen Klage beurteilt werden; denn die bloße Abgabe von Steuererklärungen erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine Klage als dem formalisierten und konkretisierten Verlangen nach gerichtlichem Rechtsschutz (z.B. BFH vom 21.2.1991, V R 2/87, BFH/NV 1992, 44).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 27.2.2003, V R 87/01