Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG ist kein Auffangtatbestand für den Ausschluss von Kapitalerträgen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG aus dem gesonderten Tarif (§ 32d Abs. 1 EStG), wenn die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG nicht erfüllt sind.
Normenkette
§ 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 8, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32d Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, Buchst. b Satz 2 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin war Alleingesellschafterin der S‐GmbH. Ihr Ehemann, der Kläger, war deren alleiniger Geschäftsführer. Zwischen dem Kläger und der S‐GmbH wurden verschiedene – zivilrechtlich wirksame – Darlehensverträge abgeschlossen. Jedoch hätte die S-GmbH zu vergleichbaren Konditionen keine Darlehen von einem fremden Dritten erhalten. Sie hätte allerdings die Kontokorrentlinie bei ihrer Hausbank zu einem Zinssatz in Höhe von 8 % nutzen können.
Der Kläger erzielte aus den Darlehen im Streitjahr 2014 Zinserträge in Höhe von 3.909 EUR. Diese erklärte er in der Einkommensteuererklärung als inländische Kapitalerträge ohne Steuerabzug, die gemäß § 32d Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 EStG dem gesonderten Tarif unterliegen.
Dagegen berücksichtigte das FA die Kapitaleinkünfte bei der Steuerfestsetzung als tariflich zu besteuernde Einkünfte. Hierbei stützte sich das FA auf die Regelung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG, da nach seiner Auffassung der Kläger als Darlehensgeber der Klägerin als Anteilseignerin der S‐GmbH nahestand. Einspruch und Klage (Niedersächsisches FG, Entscheidung vom 26.10.2016, 4 K 48/16) hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH hat der Revision der Kläger und der Klage stattgegeben.
Hinweis
1. Das FG hat im Ergebnis zutreffend die dem Kläger zugeflossenen Zinsen den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG und nicht den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit gemäß § 19 EStG zugeordnet. Bei der Abgrenzung der Kapitaleinkünfte von den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit greift die Konkurrenzregelung des § 20 Abs. 8 EStG nicht. Es ist insoweit auf eine Gesamtbetrachtung abzustellen. Danach handelte es sich bei den vom Kläger mit der S-GmbH abgeschlossenen Darlehensverträgen um vom Arbeitsverhältnis rechtlich und faktisch unabhängige Sonderrechtsbeziehungen, aufgrund derer die Zinseinkünfte erzielt wurden.
2. Es handelte sich nicht um eine vGA an die Klägerin gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, da die S‐GmbH an den Kläger als nahestehende Person der Klägerin keine überhöhten Zinsen gezahlt hat. Die in Anspruch genommene Finanzierung durch den Kläger war angesichts der vereinbarten Zinssätze vorteilhafter als eine Inanspruchnahme des Kontokorrentkredits durch die S-GmbH.
3. Die Zinseinkünfte des Klägers waren auch nicht gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG aus dem Anwendungsbereich des gesonderten Tarifs gemäß § 32d Abs. 1 EStG ausgeschlossen. Der Kläger war als Darlehensgeber im Verhältnis zu der Klägerin als Anteilseignerin der S-GmbH keine nahestehende Person, da zu dieser kein Abhängigkeitsverhältnis bestand (BFH, Urteil vom 20.10.2016, VIII R 27/15, BFHE 256, 248, BStBl II 2017, 441, Rz. 21, 23; BMF, Schreiben vom 18.1.2016, IV C 1– S 2252/08/10004:017,2015/0468306, BStBl I 2016, 85, Rz. 136).
Zwar war die Finanzierung durch den Kläger für die S‐GmbH wirtschaftlich wichtig, da sie sich im Rahmen des Kontokorrentkredits ansonsten zu einem höheren Zinssatz hätte refinanzieren müssen. Zudem hätte die Klägerin als Alleingesellschafterin den Kläger jederzeit als Geschäftsführer abberufen können. Jedoch waren weder der Kläger als Darlehensgeber noch die Klägerin als Anteilseignerin der S‐GmbH noch die S‐GmbH selbst bei Eingehen der Darlehensbeziehung in ihrer Finanzierungsfreiheit beschränkt. Ein Näheverhältnis gemäß § 32d Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG lag danach nicht vor.
4. Liegen die Voraussetzungen des § 32d Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nicht vor, kommt nach Auffassung des BFH ein Rückgriff auf § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift reicht es aus, wenn Gläubiger und Schuldner einander nahestehende Personen sind, und die den Kapitalerträgen entsprechenden Aufwendungen beim Schuldner Betriebsausgaben sind, die der inländischen Besteuerung unterliegen. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG ist kein Auffangtatbestand, wenn die Voraussetzungen des § 32d Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nicht vorliegen.
5. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn die in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG normierte Beteiligungsschwelle des Anteilseigners von 10 % nicht erreicht wird, sondern auch dann, wenn die Voraussetzungen für ein wirtschaftliches oder persönliches Näheverhältnis des Darlehensgebers zum Anteilseigner oder umgekehrt gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG nicht gegeben sind. In diesem Fall sind auch die Voraussetzungen des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht erfüllt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.6.2020 – VIII R 5/17