Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Die Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG tritt auch dann ein, wenn die bei der Auszahlung der Kapitalerträge einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht beim Finanzamt angemeldet und abgeführt wird und kein die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs ausschließender Fall nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2, Satz 2 oder Satz 3 EStG vorliegt.
2. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige Kapitaleinkünfte in Form von Scheinrenditen aus einem betrügerischen Schneeballsystem erzielt hat, für die aus seiner Sicht Kapitalertragsteuer nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG einbehalten worden ist (Anschluss an Senatsurteil vom 29.09.2020 – VIII R 17/17).
Normenkette
§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG
Sachverhalt
Der Kläger erzielte in den Streitjahren 2010 bis 2013 bei der Firma C Scheinrenditen aus Aktienverkäufen, die er nicht in den Einkommensteuererklärungen der Streitjahre angegeben hatte und die bei der Steuerfestsetzung zunächst unberücksichtigt blieben.
Auf den dem Kläger erteilten Abrechnungen wies C den rechnerisch zutreffenden Einbehalt von Kapitalertragsteuer und des hierauf entfallenden Solidaritätszuschlags auf die als Kapitaleinkünfte angegebenen Erträge aus. Jedoch wurde die Kapitalertragsteuer von C weder beim Finanzamt angemeldet noch an dieses abgeführt, was dem Kläger nicht bekannt war. Bei Aufdeckung des Schneeballsystems im Jahr 2013 hatte der Kläger noch einen erheblichen Betrag bei C angelegt. Diesen Betrag meldete er bei der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des B, dem Hintermann der C, zur Tabelle an.
Das FA legte die vom Kläger erzielten Scheinrenditen als Kapitaleinkünfte der Besteuerung zugrunde. Die von C einbehaltene Kapitalertragsteuer (zzgl. Solidaritätszuschlag) rechnete es nicht auf die Steuerfestsetzung an. Gegen diese Bescheide legte der Kläger Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens erließ das FA geänderte Einkommensteuerbescheide, in denen es die Bemessungsgrundlage für die, von dem Kläger aus dem Schneeballsystem erzielten Kapitaleinkünfte um die von C einbehaltene Kapitalertragsteuer zzgl. des Solidaritätszuschlags minderte. Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg (FG Nürnberg, Urteil vom 11.12.2019, 5 K 1283/18, Haufe-Index 13876590, EFG 2020, 840). Das FG hat die Einkommensteuer für die Streitjahre um die Beträge herabgesetzt, die auf die Besteuerung der Scheinrenditen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG entfielen.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Unstreitig war im vorliegenden Fall, dass die vom Kläger erzielten Kapitalerträge aus den Anlagegeschäften mit C als Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG zu besteuern waren, obgleich es sich um sog. Scheinrenditen handelte. Entscheidend ist dabei die subjektive Sicht des Steuerpflichtigen. Da der Kläger den tatsächlichen Sachverhalt nicht durchschaut, sondern angenommen hat, C habe gemäß der Bestätigung in seinem Auftrag und für seine Rechnung Aktiengeschäfte durchgeführt, ist dieser Sachverhalt der Besteuerung zugrunde zu legen. Die Kapitaleinkünfte bezüglich der vorgetäuschten Aktiengeschäfte waren dem Kläger nach den Feststellungen des FG gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG durch Auszahlung auch zugeflossen.
2. Aufgrund des Einbehalts der Kapitalertragsteuer durch C war die Einkommensteuer jedoch nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG abgegolten. Sie konnte daher nicht mehr der Einkommensteuerfestsetzung zugrunde gelegt werden (s.a. § 2 Abs. 5b, § 25 Abs. 1 EStG). Es lag weder ein die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs ausschließender Fall von § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 EStG noch ein Fall von § 43 Abs. 5 Satz 2 oder Satz 3 EStG vor. Der BFH hat zur Begründung auf die Ausführungen hierzu in dem BFH-Urteil vom 29.9.2020, VIII R 17/17, Bezug genommen, sodass auf den Praxishinweis zu diesem Urteil verwiesen wird.
3. Über die Frage, ob der Kläger einen Verlust aus dem Ausfall seiner Forderung gegen C bzw. B steuerlich geltend machen kann, hatte der BFH im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Denn dies war nicht Streitgegenstand des FG-Verfahrens, in dem es nur um die Besteuerung der Scheinrenditen und nicht um die vom Kläger erlittenen Verluste aus der Anlage im Schneeballsystem ging. Insoweit ist der BFH an den Klageantrag gebunden, dem vom FG in vollem Umfang stattgegeben worden war, sodass die Revision auch vom FA und nicht vom Kläger eingelegt wurde. Ein solches Begehren wäre auch unbegründet gewesen. Zwar führt der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der privaten Vermögenssphäre nach Einführung der Abgeltungsteuer zum 1.1.2009 zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG. Von einem Forderungsausfall ist jedoch erst dann auszugehen, wenn endgültig feststeht, dass keine weiteren Rückzahlungen mehr erfolgen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners reicht hierfür in der Regel nicht aus. Die Höhe des endgültige...