Leitsatz
Wiederkehrende Leistungen, die der Erbe aufgrund eines Vermächtnisses an einen Dritten zu zahlen hat, sind nur dann – unter weiteren Voraussetzungen – beim Empfänger der Bezüge nach § 22 Nr. 1 EStG steuerbar, wenn er zum sog. Generationennachfolge-Verbund gehört. Personen, die zu einem früheren Zeitpunkt auf ihr Pflichtteilsrecht verzichtet hatten, gehören nicht zum Generationennachfolge-Verbund.
Normenkette
§ 10 Abs. 1 Nr. 1a, § 12 Nrn. 1 und 2, § 22 Nr. 1 Sätze 1 und 2 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin hatte in einem 1981 geschlossenen notariellen Vertrag gegenüber ihrem Vater V auf ihren gesetzlichen Pflichtteilsanspruch verzichtet. Der 1988 verstorbene V setzte in seinem Testament seine Ehefrau F, die Stiefmutter der Klägerin, zu seiner Alleinerbin ein, legte ihr aber die Verpflichtung auf, an die Klägerin einen monatlichen Betrag i.H.v. 1.000 DM zu zahlen. F verstarb 1993. Sie wurde von ihrer (leiblichen) Tochter T beerbt. T setzte die monatlichen Zahlungen an die Klägerin fort.
Das FA ging in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1996 davon aus, dass die Zahlungen von T an die Klägerin als wiederkehrende Bezüge nach § 22 Nr. 1 EStG zu besteuern seien. Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg (vgl. FG Köln, Urteil vom 24.2.2005, 10 K 7583/99, EFG 2005, 1053). Der BFH bestätigte die Vorentscheidung.
Entscheidung
Die streitigen Zuwendungen seien als nicht steuerbare Unterhaltsleistungen nach § 12 EStG anzusehen, weil sie nicht auf der letztwilligen Verfügung des Erblassers V beruht hätten.
Mit dem Vermächtnis im Testament des V sei ausschließlich F, nicht dagegen auch die Erbeserbin T beschwert worden. Zudem wäre fraglich, ob V die T überhaupt mit einem Vermächtnis hätte beschweren können, da sie nicht Nacherbin nach V gewesen sei und V ihr nichts unmittelbar und aus eigenem Recht zugewendet habe (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB, Kommentar, 65. Auflage, § 2147 Rz. 1).
Abgesehen davon habe die Klägerin auch nicht (mehr) zu dem bei einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen von Todes wegen begünstigten Personenkreis des sog. Generationennachfolge-Verbunds gehört, nachdem sie schon gegenüber V auf ihren Pflichtteil verzichtet gehabt habe.
Hinweis
1. Versorgungsleistungen unterscheiden sich von Unterhaltsleistungen i.S.v. § 12 Nr. 1 EStG durch ihre Charakterisierung als vorbehaltene Vermögenserträge. Sie enthalten deshalb auch keine Zuwendungen des Vermögensübernehmers aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht i.S.v. § 12 Nr. 2 EStG (BFH, Beschluss vom 5.7.1990, GrS 4-6/89, BStBl II 1990, 847).
Dem liegt die normleitende Vorstellung zugrunde, dass der Übergeber das Vermögen – ähnlich wie beim Nießbrauchsvorbehalt – ohne die vorbehaltenen Vermögenserträge, die ihm nunmehr als Versorgungsleistungen zufließen, übertragen hat (BFH, Beschluss vom 12.5.2003, GrS 1/00, BFH-PR 2003, 451).
2. Nach diesen Grundsätzen sind Leistungen, die anlässlich einer Vermögensübergabe im Weg der vorweggenommenen Erbfolge vorbehalten worden sind, als wiederkehrende Leistungen nach § 22 Nr. 1 EStG steuerbar bzw. als Sonderausgaben i.S.v. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abziehbar (BFH, Beschluss vom 15.7.1991, GrS 1/90, BStBl II 1992, 78). Diesen Fällen der vorweggenommenen Erbfolge hat der BFH den Fall gleichgestellt, dass Versorgungsleistungen ihren Entstehungsgrund in einer letztwilligen Verfügung haben, sofern z.B. der überlebende Ehegatte oder ein erbberechtigter Abkömmling des Testators statt seines gesetzlichen Erbteils aus übergeordneten Gründen der Erhaltung des Familienvermögens lediglich Versorgungsleistungen aus dem ihm an sich zustehenden Vermögen erhält und es sich bei den Zahlungen nicht um eine Verrentung des Erbteils handelt (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 26.1.1994, X R 54/92, BStBl II 1994, 633).
3. Der Vermögensübergeber (Erblasser) kann sich im Fall einer Vermögensübergabe von Todes wegen Versorgungsleistungen i.S.v. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG auch für bestimmte dritte Personen vorbehalten. Ein solcher Vorbehalt gegenüber dritten Personen setzt jedoch voraus, dass diese Personen zum sog. Generationennachfolge-Verbund gehören. Diesem Verbund gehören nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur solche Personen an, die gegenüber dem Erben bzw. den sonstigen letztwillig bedachten Vermögensübernehmern Pflichtteils- oder familienrechtliche Ansprüche (insbesondere auf Zugewinnausgleich i.S.d. §§ 1363 ff. BGB) hätten geltend machen können und sich stattdessen mit den ihnen (durch Vermächtnis) ausgesetzten Versorgungsleistungen begnügen. Denn nur diese übertragen – vergleichbar dem Vermögensübergeber bei einer vorweggenommenen Erbfolge – einen eigenen Vermögenswert.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 7.3.2006, X R 12/05