Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
* Der Verlustvortrag nach § 10a GewStG bleibt erhalten, wenn ein Gewerbebetrieb an einen anderen Ort verlegt wird und dabei strukturell an veränderte Verhältnisse angepasst wird.
* Leitsatz nicht amtlich
Normenkette
§ 10a GewStG
Sachverhalt
Die Klägerin – eine GmbH und Co. KG I – mit Sitz in M bezog die für ihre Produktion benötigten Türschlösser von der GmbH und Co. KG II mit Sitz in B. Einziger Kommanditist und Alleingesellschafter der GmbH war jeweils S. 1993 verkaufte die KG II ihr Betriebsgrundstück an einen Dritten und ihr bewegliches Anlagevermögen an die Klägerin. Die Forderungen und Verbindlichkeiten wurden abgewickelt, der Habensaldo über das Kapitalkonto des S bei der Klägerin abgeschlossen. Die Klägerin übernahm nur einen Teil der Arbeitnehmer. Sie betreibt seither die Produktion der Türschlösser selbst. Die KG II wurde im Handelsregister gelöscht.
Das FA verweigerte der Klägerin in den Streitjahren 1994 und 1995 die Kürzung ihrer Gewerbeerträge um die in den Vorjahren bei der KG II entstandenen Verluste. Das FG schloss sich dieser Beurteilung an (EFG 2001, 649).
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil des FG auf und gab der Klage statt.
Untemehmeridentität liege vor, weil S letztlich der alleinige Gesellschafter beider Kommanditgesellschaften gewesen sei. Unternehmensidentität sei gegeben, weil die Verlegung der Produktion der Türschlösser in den Betrieb der Klägerin als Schwesterpersonengesellschaft der KG II zwar nach Handelsrecht, nicht aber nach Gewerbesteuerrecht zur Beendigung der KG II geführt habe.
Ihr Betrieb sei bei wirtschaftlicher Betrachtung im Rahmen des Betriebs der Klägerin fortgeführt worden; entscheidend für die Beurteilung sei, dass mit der Produktion der Türschlösser und der – strukturell bedingt eingeschränkten – Übernahme der personellen und sächlichen Mittel durch die Klägerin der Betrieb der KG II erhalten geblieben sei. Dass mit dem Betriebsgebäude eine wesentliche Betriebsgrundlage an Dritte veräußert worden sei, stehe dieser Beurteilung nicht entgegen.
Hinweis
Voraussetzung für die Kürzung des Gewerbeertrags nach § 10a GewStG ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine Unternehmer- und Unternehmensidentität. Das Problem war im vorliegenden Fall die Unternehmensidentität. Sie liegt nur dann vor, wenn der im Anrechnungsjahr bestehende Gewerbebetrieb identisch ist mit demjenigen, der im Jahr der Verlustentstehung bestand. Andernfalls ist von einer Betriebsaufgabe und der Gründung eines neuen Betriebs auszugehen.
Die Betriebe sind identisch, wenn nach dem Gesamtbild ihrer wesentlichen Merkmale ein wirtschaftlicher, organisatorischer und finanzieller Zusammenhang zwischen ihnen besteht. Das konnte hier fraglich sein, weil das Unternehmen an einen anderen Ort verlegt, die Produktion dort nur noch mit einem Teil der Belegschaft fortgeführt, das betrieblich genutzte Grundvermögen verkauft und die Forderungen und Verbindlichkeiten in das Privatvermögen des Unternehmers überführt wurden.
Es hatte sich aber bereits in einer früheren Entscheidung abgezeichnet, dass der BFH bei der Prüfung der Identität der Gewerbebetriebe nicht kleinlich verfahren würde und den Bedürfnissen einer strukturellen Anpassung des Gewerbebetriebs an veränderte wirtschaftliche Gegebenheiten Rechnung tragen werde (Urteil vom 14.9.1993, VIII R 84/90, BStBl II 1994, 764).
Das vorliegende Urteil bestätigt diese Tendenz, geht aber mit der Annahme, es liege noch eine Betriebsverlegung vor, schon an die Grenzen dessen, was man der gebotenen Gesamtbetrachtung der Merkmale des Betriebs (insbesondere der Art der Betätigung, dem Kunden- und Lieferantenkreis, der Arbeitnehmerschaft, der Geschäftsleitung, den Betriebsstätten sowie dem Umfang und der Zusammensetzung des Aktivvermögens) noch als "dasselbe Unternehmen" bezeichnen kann.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.4.2002, VIII R 16/01