Leitsatz
1. Nimmt ein volljähriges Kind nach Erlangung eines ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine nicht unter § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG fallende Berufstätigkeit auf, erfordert § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, zwischen einer mehraktigen einheitlichen Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit und einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abzugrenzen.
2. Eine einheitliche Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist nicht mehr anzunehmen, wenn die von dem Kind aufgenommene Erwerbstätigkeit bei einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse bereits die hauptsächliche Tätigkeit bildet und sich die weiteren Ausbildungsmaßnahmen als eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen.
3. Die Annahme einer einheitlichen Erstausbildung kann nicht deshalb abgelehnt werden, weil diese neben öffentlich-rechtlich geordneten auch nicht öffentlich-rechtlich geordnete Ausbildungsmaßnahmen umfasst.
Normenkette
§ 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin ist Mutter der 1993 geborenen T, die nach dem Abitur bis Juni 2015 zur Bankkauffrau ausgebildet wurde. Im September 2015 meldete sich T zu einem berufsbegleitenden Studium zum Bankfachwirt beim Bankcolleg einer Genossenschaftsakademie an, das sie am 1.11.2015 aufnahm.
Das Studium ist in vier Semester aufgeteilt. Pro Semester sind 84 bis 105 Präsenzstunden an Samstagen, mehrere Webinare sowie zwei bis vier Semesterprüfungen vorgesehen. Das Studium dient der Vorbereitung auf die Abschlüsse "Bankfachwirt BankColleg" sowie "Bankfachwirt IHK". Voraussetzung für die Anmeldung ist eine abgeschlossene Bankausbildung oder eine dreijährige Berufstätigkeit in der Bank. Neben dem Studium arbeitete T vollzeitig als Bankkauffrau bei einer Bank.
Die Familienkasse lehnte den Antrag auf Kindergeld ab Juli 2015 ab. Das FG verpflichtete die Familienkasse, Kindergeld für T ab Juli 2015 festzusetzen (Niedersächsisches FG, Urteil vom 13.11.2017, 1 K 115/17, Haufe-Index 11748590).
Entscheidung
Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und zurückverwiesen. Die Erfolgsaussichten der Klägerin dürften im zweiten Rechtsgang angesichts der Vollzeittätigkeit der T im Ausbildungsberuf und der wohl auf Samstage beschränkten Präsenzstunden des Bankcollegs gering sein. Der BFH kann die erforderliche Würdigung des Verhältnisses von Ausbildung und Berufstätigkeit als Revisionsgericht aber nicht selbst vornehmen.
Hinweis
1. Der BFH hatte seine frühere Rspr. zum Umfang der Erstausbildung, nach deren Abschluss eine Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden die Berücksichtigung als Kind ausschließt (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG), durch Urteil vom 11.12.2018 (BFH, Urteil vom 11.12.2018, III R 26/18, BFH/NV 2019, 465) korrigiert. Danach liegt eine einheitliche Erstausbildung nicht vor, wenn die Erwerbstätigkeit bei einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse bereits die hauptsächliche Tätigkeit des Kindes bildet und sich die weiteren Ausbildungsmaßnahmen als eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen. Dafür ist das Verhältnis zwischen Erwerbstätigkeit und Ausbildung zu bewerten. Wie in der Kommentierung zu diesem Urteil in BFH/PR 2019, 128 näher erläutert wird, ist zu berücksichtigen:
- Dauer und Umfang des Arbeitsverhältnisses
- Zeitliches Verhältnis von Erwerbstätigkeit und Ausbildungsmaßnahmen
- Nutzt das Kind die durch den ersten Abschluss erlangte Qualifikation für eine dadurch eröffnete Berufstätigkeit oder handelt es sich um eine typischerweise nicht dauerhafte oder Aushilfstätigkeit?
- Wird die Erwerbstätigkeit nach ihrem äußeren Erscheinungsbild "neben der Ausbildung" durchgeführt oder ist die Ausbildung der üblichen Arbeitszeit (z.B. am Abend oder am Wochenende) untergeordnet?
2. Das Besprechungsurteil bestätigt diese Entscheidung; weite Teile der Gründe (und die ersten beiden Leitsätze) sind identisch. Zusätzlich wird die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Regelung der Ausbildung behandelt.
Kinder werden nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG berücksichtigt, wenn sie "für einen Beruf ausgebildet werden"; nach Abschluss einer "erstmaligen Berufsausbildung" kann die Berücksichtigung wegen schädlicher Erwerbstätigkeit ausgeschlossen sein (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).
Trotz des nahezu gleichen Wortlauts unterscheidet sich die Berufsausbildung i.S.v. Satz 1 von der in Satz 2. Denn die die Berücksichtigung ermöglichende Ausbildung für einen Beruf (Satz 1) kann auch durch private Kurse (Sprachkurs eines Au-pairs) und sogar ein Selbststudium (z.B. Vorbereitung auf ein Abitur für Nichtschüler) erfüllt werden.
Um sicherzustellen, dass nicht jede allgemein berufsqualifizierende Maßnahme zum Verbrauch der Erstausbildung führt, ist der Begriff der Berufsausbildung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG enger:
- Zum einen setzt die erstmalige B...