Leitsatz
1. Nimmt ein volljähriges Kind nach Erlangung eines ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine nicht unter § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG fallende Berufstätigkeit auf, erfordert § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zwischen einer mehraktigen einheitlichen Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit und einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abzugrenzen.
2. Eine einheitliche Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist nicht mehr anzunehmen, wenn die von dem Kind aufgenommene Erwerbstätigkeit bei einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse bereits die hauptsächliche Tätigkeit bildet und sich die weiteren Ausbildungsmaßnahmen als eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen.
3. Eine Verbindung von zwei Ausbildungsabschnitten zu einer einheitlichen Erstausbildung kann nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil die Absichtserklärung zur Fortführung der Erstausbildung nicht spätestens im Folgemonat nach Abschluss des vorangegangenen Ausbildungsabschnitts bei der Familienkasse vorgelegt wird (entgegen DA‐KG 2018 V 6.1 Abs. 1 Satz 8).
Normenkette
§ 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin ist Mutter der im März 1991 geborenen T, die bis Juli 2013 zur Verwaltungsangestellten ausgebildet wurde. Vom 30.11.2013 bis 7.7.2016 absolvierte sie einen berufsbegleitenden Angestelltenlehrgang II zur Verwaltungsfachwirtin. Daneben stand sie in einem Vollzeitarbeitsverhältnis bei einer Stadtverwaltung.
Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung ab August 2013 auf. Vier Jahre später beantragte die Klägerin erneut Kindergeld. Diesen Antrag lehnte die Familienkasse ab, weil T ihre erste Berufsausbildung abgeschlossen habe und während der Zweitausbildung einer schädlichen Erwerbstätigkeit nachgegangen sei.
Das FG verpflichtete die Familienkasse, Kindergeld für August 2013 bis März 2016 festzusetzen (FG Düsseldorf, Urteil vom 20.6.2018, 7 K 223/18 Kg, Haufe-Index 12603611).
Entscheidung
Die Revision der Familienkasse führte – wie in den Parallelverfahren – zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache, weil der BFH die für die Abgrenzung von mehraktiger Erstausbildung und Zweitausbildung erforderliche Würdigung als Revisionsgericht nicht selbst vornehmen kann.
Hinweis
1. Dieses Besprechungsurteil bestätigt – wie die vorstehende Entscheidung – die durch BFH-Urteil vom 11.12.2018 (BFH, Urteil vom 11.12.2018, III R 26/18, BFH/NV 2019, 465, BFH/PR 2019, 128) eingeleitete Korrektur der Rspr. zum Umfang der Erstausbildung, nach deren Abschluss eine Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden die Berücksichtigung als Kind regelmäßig ausschließt (§ 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG).
2. Die Verbindung von zwei Ausbildungsabschnitten zu einer einheitlichen Erstausbildung setzt entgegen der Verwaltungsauffassung (DA‐KG 2018 V 6.1 Abs. 1 Satz 8) nicht voraus, dass die Absicht zur Fortführung der Erstausbildung spätestens im Folgemonat nach Abschluss des vorangegangenen Ausbildungsabschnitts erklärt wird. Es genügt vielmehr, wenn die Sachverhaltsumstände im Entscheidungszeitpunkt dargelegt sind. Der Zeitpunkt, zu dem ein Sachverhalt der Familienkasse unterbreitet worden ist, kann zwar ein Indiz für die Glaubhaftigkeit des Vortrags sein, es handelt sich dabei aber nicht um eine fristgebundene oder rechtsgestaltende Erklärung. Soweit ein in der Vergangenheit liegender Anspruchszeitraum zu beurteilen ist, lässt der Untersuchungsgrundsatz (§ 88 Abs. 1 und 2 AO, § 76 Abs. 1 und 4 FGO) keinen Raum dafür, erst nach Ablauf des Anspruchszeitraums entstandene oder bekannt gewordene Beweisanzeichen unberücksichtigt zu lassen.
3. Der BFH weist darauf hin, dass die Bewertung, ob die Erstausbildung bereits mit dem ersten berufsqualifizierenden Ausbildungsabschnitt (hier: zur Verwaltungsfachangestellten) abgeschlossen wurde oder auch noch den zweiten Ausbildungsabschnitt umfasst (hier: Lehrgang zur Verwaltungsfachwirtin), mangels besonderer Umstände auch auf die vor Beginn des zweiten Abschnitts liegende Übergangszeit erstreckt werden kann.
4. Der BFH wiederholt, dass eine von der Prüfungsordnung des zweiten Ausbildungsabschnitts als Prüfungsvoraussetzung geforderte Berufstätigkeit (anders als eine Berufstätigkeit als Zulassungsvoraussetzung für den Ausbildungsabschnitt!) den notwendigen Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten nicht zwingend entfallen lässt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 20.2.2019 – III R 42/18