Ewald Dötsch, Prof. Dr. Franz Dötsch
Leitsatz
Der Ablauf der Festsetzungsfrist wird auch dann gem. § 171 Abs. 3 AO durch Anfechtung eines vor Fristablauf erlassenen Änderungsbescheids gehemmt, wenn das FA den Änderungsbescheid aufgrund rechtlicher Schlussfolgerungen in einer sog. Kontrollmitteilung erlassen hat und ihm die zugrunde liegenden Tatsachen i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erst nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist bekannt werden. Der im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids bestehende Mangel, dass die Tatsachen nicht bekannt waren, kann auch in diesem Fall durch die Einspruchsentscheidung geheilt werden.
Normenkette
§ 171 Abs. 3 AO i.d.F. vor In-Kraft-Treten des StBereinG 1999
Sachverhalt
Der Kläger war Alleingesellschafter der X-GmbH. Er gab seine ESt-Erklärung für das Streitjahr 1984 im April 1985 ab und wurde zunächst erklärungsgemäß veranlagt. Ende November 1989 ging beim damals zuständigen Wohnsitzfinanzamt des Klägers (FA D) ein Schreiben des FA für Großbetriebsprüfung G ein, in dem es heißt: "Bei der BP der X-GmbH wurden folgende verdeckte Gewinnausschüttungen festgestellt: GEMA-Rückstellung plus Krankenkasse plus anrechenbare Körperschaftsteuer, zusammen 2306887 DM. Die näheren Begründungen hierzu erhalten Sie, wenn demnächst der BP-Bericht erstellt wird ..." Das FA D erließ am 11.12.1989 gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO einen geänderten ESt-Bescheid 1984, in dem es Einnahmen aus Kapitalvermögen i.H. dieser Beträge ansetzte. In den Erläuterungen wies das FA D auf die BP bei der X-GmbH hin. Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Einspruch ein. Am 17.1.1990 ging beim FA D ein Auszug aus dem BP-Bericht mit einer Schilderung der Vorgänge über die vGA ein. Nachdem aufgrund der von der X-GmbH angestrengten Klage die vGA auf 357468 DM reduziert wurden, erließ das zwischenzeitlich zuständig gewordene beklagte FA gem. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO am 5.11.1996 einen entsprechend geänderten ESt-Bescheid 1984. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger erneut Einspruch ein, der als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die Klage hatte im Wesentlichen Erfolg. Auf die Revision des FA hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Entscheidung
Das Finanzgericht hat zwar zu Recht angenommen, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids vom 11.12.1989 die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO für eine Änderung des ursprünglichen (bestandskräftigen) ESt-Bescheids 1984 nicht vorlagen. Denn Ergebnisermittlungen des für die Körperschaftsteuer zuständigen FA an das Wohnsitz-FA des Anteilseigners über eine bei der Gesellschaft durchgeführte Außenprüfung stellen insoweit keine (neuen) Tatsachen i.S.v. § 173 Abs. 1 AO dar, als darin – wie hier – nur rechtliche Schlussfolgerungen wiedergegeben werden (BFH, Urteil vom 27.10.1992, VIII R 41/89, BStBl II 1993, 569).
Dennoch war der Ablauf der regulären ESt-Festsetzungsfrist am 31.12.1989 im Streitfall ohne Bedeutung, weil durch die Anfechtung des Änderungsbescheids vom 11.12.1989 insoweit gem. § 171 Abs. 3 AO a.F. eine noch heute andauernde Ablaufhemmung eingetreten ist und es deshalb möglich war, dass der ursprüngliche Mangel des Änderungsbescheids durch die später bekannt gewordenen Tatsachen geheilt worden ist.
Tatsachen, die darauf hindeuten könnten, dass der Änderungsbescheid vom 11.12.1989 nicht wirksam geworden ist, sind nicht ersichtlich. Da im Streitfall die Tatsachen, auf die das zwischenzeitlich zuständig gewordene beklagte FA in der Einspruchsentscheidung die Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt hat, zu einem Zeitpunkt bekannt geworden sind, als insoweit noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten war, war eine Heilung des Fehlers des ursprünglichen Änderungsbescheids durch die Einspruchsentscheidung möglich.
Die Sache geht an das Finanzgericht zurück, weil dieses noch keine Feststellungen zur Höhe der vGA getroffen hat.
Hinweis
1. Der im Streitfall noch einschlägige § 171 Abs. 3 Satz 1 AO i.d.F. vor In-Kraft-Treten des StBereinG 1999 (vgl. nunmehr § 171 Abs. 3a Satz 1 AO i.d.F. des Art. 17 des StBereinG 1999) sieht vor, dass dann, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung gestellt wird, die Festsetzungsfrist insoweit nicht abläuft, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist. Nach Satz 2 dieser Vorschrift steht dem Antrag nach Satz 1 die Anfechtung eines vor Ablauf der Festsetzungsfrist erlassenen Steuerbescheids (§ 169 Abs. 1 AO) auch dann gleich, wenn der Rechtsbehelf nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingelegt wird.
2. Die – m.E. zutreffende – Kernaussage des vorliegenden Urteils geht dahin, dass auch die Anfechtung eines rechtswidrigen, aber nicht nichtigen Steuerbescheids die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO a.F. (jetzt: § 171 Abs. 3a AO n.F. ab 1.1.2000) auslöst mit der Folge, dass Mängel dieses Bescheids durch die nachfolgende Einspruchsentscheidung des Finanzamts geheilt werden können.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 12.12.2000, VIII R 12...