8.1 Was für AfA und Nutzungsdauer gilt

Auch für die AfA gilt der Maßgeblichkeitsgrundsatz der Handelsbilanz für die Steuerbilanz des § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG. Er wird jedoch durch § 5 Abs. 6 EStG eingeschränkt. Danach sind bei der Gewinnermittlung u. a. die einkommensteuerlichen Vorschriften über die AfA zu befolgen.

Handelsrechtlich werden die lineare Abschreibung, die degressive Abschreibung, die Leistungsabschreibung und die progressive Abschreibung als mit den GoB vereinbar und damit für zulässig angesehen, soweit sie den tatsächlichen Verlauf des Werteverzehrs abbilden.[1] Zulässige planmäßige Abschreibungen in der Handelsbilanz können jedoch im Hinblick auf § 5 Abs. 6 EStG nicht in die Steuerbilanz übernommen werden, soweit sie nach § 7 EStG unzulässig sind, z. B. die progressive Abschreibung.

Ob eine Bindung der Steuerbilanz an die Handelsbilanz in Bezug auf die Schätzung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer besteht, erscheint nicht eindeutig. Die Finanzverwaltung hat sich in ihrem BMF-Schreiben[2] hierzu nicht geäußert. Zum Teil wird in der Literatur von der Zulässigkeit unterschiedlicher Nutzungsdauern ausgegangen.[3] Nach anderer Meinung ist diese Auffassung unzutreffend, weil die Grundsätze hinsichtlich der Bestimmung der Nutzungsdauer in der Handels- und Steuerbilanz dieselben sind.[4]

Prinzipiell ist wohl davon auszugehen, dass in Handelsbilanz und Steuerbilanz von derselben Nutzungsdauer der abschreibungsfähigen Wirtschaftsgüter auszugehen ist.[5] Wird handelsrechtlich eine längere Nutzungsdauer als in der Steuerbilanz zugrunde gelegt, besteht das Risiko, dass durch die – auch nach BilMoG weiterhin bestehende – Maßgeblichkeit die längere Nutzungsdauer auf die Steuerbilanz "durchschlägt" und die in den AfA-Tabellen fixierte Nutzungsdauer überlagert.[6] Ist umgekehrt in der Handelsbilanz eine kürzere – nach Steuerrecht unzulässige – Nutzungsdauer zugrunde gelegt worden, müssen für die Steuerbilanz die AfA-Beträge nach den steuerlichen Grundsätzen errechnet werden – d. h., es muss für steuerliche Zwecke von einer längeren Nutzungsdauer ausgegangen werden. Auch in diesem Fall besteht die Notwendigkeit, ein eigenständiges steuerliches Anlageverzeichnis zu führen, da Handels- und Steuerbilanzwert nicht übereinstimmen.[7], [8]

[1] BR-Drucksache 344/08 S. 131.
[3] Z. B. Meinel, DStR 2011 S. 1724; Hennrichs, Ubg 2011 S. 788; Marx, SteuerStud 2015 S. 594, 596.
[4] Schmidt/Kulosa, EStG, 42. Aufl. 2023, § 7 Rn. 21.
[5] Schnitter in: Frotscher/Geurts, EStG § 7, Rn. 22 (Stand: 7.4.2023), wonach der Steuerpflichtige bei der Bemessung der AfA in der Steuerbilanz grundsätzlich von der gleichen Nutzungsdauer auszugehen hat wie in der Handelsbilanz; a. A. Marx, SteuerStud 2015 S. 594, 596.
[6] So m. E. zutreffend Zwirner, DStR 2011 S. 802, 803.
[8] Zwirner, DStR 2011 S. 802, 803.

8.2 Abschaffung der umgekehrten Maßgeblichkeit

Das in § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG a. F. geregelte Prinzip der umgekehrten Maßgeblichkeit gab vor, dass steuerrechtliche Wahlrechte bei der Gewinnermittlung in Übereinstimmung mit der handelsrechtlichen Jahresbilanz auszuüben sind. Danach war ein steuerrechtliches Wahlrecht nur ausübbar, wenn es spiegelbildlich in der Handelsbilanz nachvollzogen wurde. Die umgekehrte ("formelle") Maßgeblichkeit, wonach steuerrechtliche Ansatz- und Bewertungswahlrechte nur in Übereinstimmung mit der Handelsbilanz ausgeübt werden konnten, ist durch Streichung des § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG a. F. für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2008 enden, aufgehoben worden.

Das Maßgeblichkeitsprinzip in § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG ("materielle Maßgeblichkeit") ist um den Zusatz "es sei denn", im Rahmen der Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts wird oder wurde ein anderer Wertansatz gewählt" ergänzt worden. Nach dem geänderten § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG ist für den Schluss des Wirtschaftsjahrs das Betriebsvermögen anzusetzen,[1] das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist, es sei denn, im Rahmen der Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts wird oder wurde ein anderer Ansatz gewählt.

Das hat folgende Konsequenzen:

  • Wahlrechte, die nur steuerrechtlich bestehen, können nach § 5 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz EStG unabhängig vom handelsrechtlichen Wertansatz ausgeübt werden. Die Ausübung des steuerlichen Wahlrechts wird insoweit nicht nach § 5 Absatz 1 Satz 1 1. Halbsatz EStG durch die Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen GoB beschränkt.[2]
  • Wahlrechte, die sowohl handelsrechtlich als auch steuerrechtlich bestehen, können in der Handelsbilanz und in der Steuerbilanz [3] unterschiedlich ausgeübt werden.[4]

Folge: Die Abschreibungsbeträge und damit die Wertansätze in Handels- und Steuerbilanz können in diesen Fällen voneinander abweichen. Allerdings müssen die betroffenen Wirtschaftsgüter in besondere Verzeichnisse aufgenommen werden.[5]

Nicht erfasst von § 5 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz EStG ist die Schätzung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, da diesbezüglich kein W...

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