Prof. Dr. Sascha Dawo, Dipl.-Finw. (FH) Wilhelm Krudewig
6.1 Ermittlung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer
Die Abschreibung bemisst sich handels- und steuerrechtlich nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer. Für die meisten neu angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter hat die Finanzverwaltung die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer festgelegt, die auch für handelsrechtliche Zwecke übernommen werden kann. Bei der amtlichen Abschreibungstabelle für die allgemein verwendbaren Wirtschaftsgüter handelt es sich um eine Verwaltungsanweisung. Diese bindet grundsätzlich nur die Finanzverwaltung selbst. Da sich jedoch in der Regel auch die Finanzgerichte nach dieser amtlichen Abschreibungstabelle (bzw. AfA-Tabelle) richten, hat sie im Ergebnis verbindlichen Charakter. Die Anwendung der Nutzungsdauern gemäß der steuerlichen Abschreibungstabellen in der Handelsbilanz ist allgemein anerkannt, wenn im konkreten Einzelfall die Nutzungsdauer laut Abschreibungstabelle innerhalb der handelsrechtlich zulässigen Bandbreite betriebsindividueller wirtschaftlicher Nutzungsdauern liegt.
Im Fall von Gebäuden ist die voraussichtliche Nutzungsdauer nach IDW RS IFA 2, Rz. 23 vorsichtig zu schätzen. Dabei ist zwischen Wohngebäuden und gewerblich genutzten Gebäuden zu unterscheiden:
- Im Fall von Wohngebäuden liegt die Nutzungsdauer nach IDW RS IFA 2, Rz. 24 i. d. R. "nicht unter 50 Jahren, aber auch nicht wesentlich länger, von Ausnahmefällen abgesehen [wird sie] nicht über 80 Jahren anzunehmen sein." Beim Erwerb gebrauchter Wohngebäude ist die vorsichtig geschätzte Restnutzungsdauer maßgeblich.
- Die voraussichtliche Nutzungsdauer eines gewerblich genutzten Gebäudes wird durch die individuelle Art der Verwendung im Einzelfall bestimmt und ist i. d. R. kürzer als die von Wohngebäuden.
Bei Gebäuden sind in § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG feste Prozentsätze für die lineare Abschreibung vorgeschrieben. Dadurch wird indirekt auch die Nutzungsdauer für die Steuerbilanz gesetzlich festgelegt bzw. typisiert, wobei gem. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG unter bestimmten Voraussetzungen eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer als die typisierte Nutzungsdauer zugrunde gelegt werden darf. Die (typisierten) Nutzungsdauern können in die Handelsbilanz übernommen werden, sofern diese im Einzelfall innerhalb des handelsrechtlich vertretbaren Schätzrahmens der voraussichtlichen betriebsindividuellen Nutzungsdauer liegen.
Schließlich ist zu beachten, dass es für eine Vielzahl von Branchen besondere Abschreibungstabellen (= Branchentabellen für die AfA) gibt. Diese besonderen Abschreibungstabellen haben Vorrang vor der Abschreibungstabelle für die allgemein verwendbaren Wirtschaftsgüter. Diese Werte können bei Bestimmung der Abschreibungsbeträge in der Handelsbilanz ebenfalls zu Grunde gelegt werden soweit sie im handelsrechtlichen Schätzrahmen liegen.
6.2 Annahme einer einjährigen Nutzungsdauer bei digitalen Wirtschaftsgütern
Nach dem BMF-Schreiben vom 22.2.2022, Rz. 1.1 ist für die nach § 7 Abs. 1 EStG anzusetzende Nutzungsdauer von
- Betriebs- und Anwendersoftware zur Dateneingabe und -verarbeitung und
- Computerhardware
grundsätzlich ein Zeitraum von einem Jahr anzunehmen. Nach Rz. 1.2 des BMF-Schreibens kann der Bilanzierende von dieser Annahme auch abweichen und eine längere (im Einzelfall ggf. realistischere) Nutzungsdauer zugrunde legen. Auch ist die Anwendung anderer Abschreibungsmethoden als der linearen Abschreibung grundsätzlich möglich, wobei dies nur bei Zugrundelegung einer Nutzungsdauer von mehr als einem Jahr relevant ist.
Wird vom Bilanzierenden in Übereinstimmung mit Rz. 1.1 des BMF-Schreibens eine Nutzungsdauer von einem Jahr zugrunde gelegt, so unterliegen auch diese Wirtschaftsgüter nach Rz. 1.1 des BMF-Schreibens weiterhin § 7 Absatz 1 EStG. „Die Möglichkeit, eine kürzere betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer zugrunde zu legen, stellt keine besondere Form der Abschreibung, keine neue Abschreibungsmethode und keine Sofortabschreibung dar.“
Weiterhin beginnt - auch bei einer grundsätzlich anzunehmenden Nutzungsdauer von einem Jahr – die Abschreibung zum Zeitpunkt der Anschaffung und Herstellung.
Die Abschreibung kann dann
- im Monat der Anschaffung oder Herstellung in voller Höhe, verteilt bis zum Geschäftsjahresende oder
- zum Geschäftsjahresende in voller Höhe
vorgenommen werden.
In Rz. 1.4 wird klargestellt, dass bei Zugrundelegung einer Nutzungsdauer von einem Jahr keine Pro-rata-temporis-Abschreibung über 12 Monate, die in der Regel 2 Geschäftsjahre betrifft, vorgenommen werden muss, sondern eine Vollabschreibung im Geschäftsjahr der Anschaffungs- und Herstellung vorgenommen werden kann.
Nach Rz. 1.2 sind die betroffenen Wirtschaftsgüter in das nach R 5.4 EStR zu führende Bestandsverzeichnis (des beweglichen Anlagevermögens) aufzunehmen. D.h. eine direkte Buchung auf ein Aufwandskonto ohne Erfassung im Anlageverzeichnis ist nicht zulässig. Vielmehr ist die Erfassung in der Anlagenkartei notwendig, was i. d. R. m...