Leitsatz

1. Bei einem Einzelunternehmer kann die Prüfung der Sanierungsbedürftigkeit nicht auf die Wirtschaftslage des Unternehmens beschränkt werden. Vielmehr ist auch die private Leistungsfähigkeit des Unternehmers einschließlich seines Privatvermögens zu beleuchten, da eine Krise im privaten Bereich eine Unternehmenskrise verstärken kann. Dies bedeutet, dass der Einzelunternehmer vorhandenes Privatvermögen zur Lösung der Unternehmenskrise einsetzen muss.

2. Ein rechtlicher Hinweis, den das FG in der mündlichen Verhandlung erteilt, stellt einen wesentlichen Vorgang der Verhandlung dar und ist deshalb protokollierungspflichtig (§ 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 2 ZPO).

 

Normenkette

§ 163 AO, § 94 FGO, § 160 Abs. 2 ZPO

 

Sachverhalt

Der Kläger betreibt eine Handelsvertretung, deren Erträge stetig zurückgegangen sind. Seine finanzielle Situation wurde dadurch erschwert, dass er Jahre zuvor unter Nutzung des Zweikontenmodells ein sehr aufwändiges Einfamilienhaus errichtet hatte. Nachdem der Kläger zeitweise nicht mehr in der Lage war, seine Verbindlichkeiten der Bank A gegenüber zu erfüllen, kam es – ohne dass ein Sanierungsplan aufgestellt wurde – zu einer Umschuldung. Dabei gewährte die Bank B dem Kläger Darlehen, die zur teilweisen Kredittilgung an die A-Bank flossen. Im Übrigen verzichtete die A-Bank auf ihre Ansprüche. Der Kläger beantragte, den so entstandenen Sanierungsgewinn gem. § 163 AO nicht zu besteuern. Das FA und das FG lehnten dies ab (FG Münster, Urteil vom 29.10.2010, 4 K 2612/08 E, Haufe-Index 2604252, EFG 2011, 644).

 

Entscheidung

Auch die Revision war aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen ohne Erfolg. Die Ablehnung des Billigkeitsantrags durch das FA war nicht ermessensfehlerhaft. Erst recht bestand kein Anspruch auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen.

 

Hinweis

1. In diesem auf Bitten des BMF nachträglich zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten Urteil bestätigt der X. Senat seine nicht uneingeschränkt geteilte Auffassung, dass der sog. Sanierungserlass vom 27.3.2003 (BStBl I 2003, 240) im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers, nach dem der Besteuerung von Sanierungsgewinnen trotz Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG in begründeten Härtefällen durch eine Billigkeitsmaßnahme begegnet werden könne, im Grundsatz nicht beanstandet werden kann (vgl. im Einzelnen Urteil vom 14.7.2010, X R 34/08, BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916; zweifelnd hingegen BFH, Entscheidungen vom 28.2.2012, VIII R 2/08, BFH/NV 2012, 1135 und vom 25.4.2012, I R 24/11, BFHE 237, 403).

2. Aber auch im vorliegenden Streitfall ist diese Aussage nicht tragend, da die im Sanierungserlass aufgestellten Voraussetzungen für einen begünstigten Sanierungsgewinn nicht vorlagen. Daher konnte auch unentschieden bleiben, ob die Billigkeitsmaßnahmen des sog. Sanierungserlasses gemessen an der Intention des Gesetzgebers zu weitreichend sind.

3. Nach dem sog. Sanierungserlass ist eine Billigkeitsmaßnahme in Fällen einer unternehmensbezogenen Sanierung möglich, d.h. einer Maßnahme, die darauf gerichtet ist, ein Unternehmen oder einen Unternehmensträger vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen. Erhöht sich das Betriebsvermögen dadurch, dass Schulden zum Zwecke der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden, ist ein begünstigter Sanierungsgewinn anzunehmen, wenn kumulativ das Unternehmen sanierungsbedürftig und sanierungsfähig sowie der Schulderlass zur Sanierung geeignet ist und die Gläubiger in Sanierungsabsicht handeln.

3. Ob ein Unternehmen sanierungsbedürftig ist, richtet sich bei einem Einzelunternehmer danach, ob infolge der Überschuldung die Existenz des Unternehmens derart bedroht ist, dass es ohne den Schuldenerlass nicht ertragbringend weitergeführt werden kann. Maßgebend sind die Gesamtumstände. Da Gläubiger des Einzelunternehmers unabhängig von der Zuordnung ihrer Forderungen sowohl auf das Betriebsvermögen wie auch auf das Privatvermögen Zugriff nehmen können, ist in die Prüfung der Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens außer dem positiven auch das überschuldete und ertraglose Privatvermögen einzubeziehen, das die Leistungsfähigkeit des Unternehmens beeinträchtigt und möglicherweise zur nachhaltigen Zahlungsunfähigkeit des Unternehmers führt.

4. Ein Unternehmen kann insbesondere auch dann sanierungsbedürftig sein, wenn –wie im Streitfall – die unternehmerische Krise durch eine Krise im privaten Bereich verstärkt wird. In solch einem Fall einer durch das Zusammenspiel von betrieblichen (z.B. Wegfall von Einnahmen, steigende Kosten) und persönlichen Faktoren (hoher Lebensstandard und dadurch hohe Privatentnahmen, private Verschuldung) bedingten Unternehmenskrise stellt sich – neben der Heranziehung des Privatvermögens – vielmehr verstärkt die Frage nach den vom Steuerpflichtigen ergriffenen Maßnahmen.

5. Haften natürliche Personen für die Unternehmensverbindlichkeiten, so lehnt die Rechtsprechung eine krisenbedingte Sanierungsbedürftigkeit ab, wenn durch Heranziehen des Priv...

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