Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob das ab Veranlagungszeitraum 2007 geltende Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b EStG betreffend Aufwendungen (hier: eines Lehrers, dem kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht) für ein häusliches Arbeitszimmer, mit Ausnahme der Fälle, in denen das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet, verfassungsgemäß ist.
Normenkette
§ 9 Abs. 5 S. 1 i.V.m. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b EStG i.d.F. des StÄndG 2007, § 69 FGO
Sachverhalt
Die Antragsteller, Eheleute, sind als Realschulleiter und Grundschullehrerin nicht selbstständig tätig und nutzen im eigenen Einfamilienhaus jeweils ein häusliches Arbeitszimmer. Sie tragen (unwidersprochen) vor, dass ihnen für die Vor- und Nachbereitung des Schulunterrichts keine geeigneten Arbeitsplätze in der Schule zur Verfügung stehen. Das FA lehnte es ab, wegen der Aufwendungen für ihre Arbeitszimmer höhere Freibeträge auf den Lohnsteuerkarten für 2009 einzutragen.
Der AdV-Antrag beim FG war erfolgreich (Niedersächsischen FG, Beschluss vom 02.06.2009, 7 V 76/09, Haufe-Index 2214454).
Entscheidung
Die dagegen vom FA eingelegte Beschwerde wies der BFH aus den unter Praxishinweisen dargestellten Erwägungen zurück. Er beließ es bei der vom FG zugesprochenen AdV.
Hinweis
1. Die verfahrensrechtliche Ausgangslage war wie im Verfahren um die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich der Entfernungspauschale (BFH, Beschluss vom 23.08.2007, VI B 42/07, BFH/NV 2007, 1998, BFH/PR 2007, 423). § 69 FGO lässt genügen, dass gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit sprechen, ohne dass die für die Rechts-/Verfassungswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen müssen. Nachdem solche verfassungsrechtlichen Zweifel nicht nur im Schrifttum – vom BFH-Beschluss ausführlich zitiert – umfangreich dargelegt und begründet worden waren, sondern auch das FG Münster (Beschluss vom 08.05.2009, 1 K 2872/08 E, Haufe-Index 2182269, EFG 2009, 1224) die Frage dem BVerfG (Az. des BVerfG 2 BvL 13/09) zur Entscheidung vorgelegt hatte, sprach alles für solche Zweifel und damit für die AdV.
Die materiellrechtliche Ausgangslage gibt § 9 Abs. 5 S. 1 i.V.m. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b EStG in der ab 2007 geltenden Fassung. Danach sind Aufwendungen für häusliche Arbeitszimmer keine Werbungskosten, sofern das Arbeitszimmer nicht den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. Die daran anschließende eigentliche Streitfrage – die verfassungsrechtliche Beurteilung des weitgehenden Abzugsverbots von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer – beantwortet der AdV-Beschluss (natürlich) nicht; der Beschluss – so der BFH ausdrücklich – präjudiziert die Hauptsache nicht. Derzeit ist ein Revisionsverfahren (VI R 13/09) anhängig.
2. Die Frage, ob der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz hinter das öffentliche Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltswirtschaft zurücktreten müsse, verneinte der BFH für den Streitfall und ließ offen, ob an dieser besonderen Interessenabwägung überhaupt festzuhalten sei. Das Interesse der Antragsteller an der Aussetzung sei nicht auszuschließen, weil im Fall der Verfassungswidrigkeit das BVerfG die Vorschrift lediglich als grundgesetzwidrig ansehen und dem Gesetzgeber eine Änderung mit geräumiger Frist für die Zukunft aufgeben könnte. Andererseits sei die Größenordnung des vorläufigen Steuerausfalls von ca. 300 Mio. EUR (vgl. BTDrucks. 16/1545 S. 9) nicht geeignet, das öffentliche Interesse als vorrangig zu beurteilen, und letztlich vermeide die Gewährung der AdV gerade Risiken für die öffentliche Haushaltswirtschaft, die mit der Verplanung bzw. Verausgabung möglicherweise verfassungswidriger Steuern verbunden sind.
3. Der Beschluss zeigt eine sich ändernde Struktur steuerlichen Rechtsschutzes. Denn anders als früher, wenn etwa um die Rechtmäßigkeit des Existenzminimums, der Kinderfreibeträge oder der Einheitsbewertung gestritten wurde und erst lange nach Ablauf der streitigen Veranlagungszeiträume es zu stattgebenden, aber nur pro futuro wirkenden Entscheidungen des BVerfG gekommen war, greifen jetzt die Steuerpflichtigen -- wie schon bei der Entfernungspauschale – vermehrt zum vorläufigen Rechtsschutz (AdV). Die Wirkung der Aussetzung: auf Grundlage der streitigen Norm werden erst gar keine Steuern erhoben und im Fall der Verfassungswidrigkeit müssen keine schon vereinnahmten Steuern zurückerstattet werden. Das berücksichtigte der BFH auch hier beim Aussetzungsinteresse.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 25.08.2009 – VI B 69/09