Leitsatz
Entstehen dem Kindergeldberechtigten Aufwendungen für das volljährige behinderte Kind mindestens in Höhe des Kindergeldes, kommt eine Abzweigung an den Sozialleistungsträger nicht in Betracht. Sind die Aufwendungen geringer oder nicht mehr exakt ermittelbar, kann eine teilweise Abzweigung des Kindergelds in Betracht kommen.
Sachverhalt
Die Klägerin ist die Mutter der im Jahre 1963 geborenen, körperlich und geistig behinderten (Grad der Behinderung: 100 v.H.; Merkzeichen: "G") Tochter, die in einer Einrichtung für körperlich und geistig behinderte Menschen untergebracht ist. Die Klägerin leistete bis September 2008 einen Unterhaltsbeitrag von 26 EUR monatlich und bezog für ihre Tochter Kindergeld. Dem Antrag des Sozialleistungsträgers auf Abzweigung des Kindergeldes entsprach die Familienkasse (FK) ab Juli 2007. Die FK vertrat die Auffassung, dass die Voraussetzungen einer Abzweigung nach § 74 Abs. 1 EStG i. H. v. 77 EUR monatlich vorlägen, weil die Klägerin ihre gesetzliche Unterhaltspflicht lediglich mit einem Betrag erfülle, der geringer als das Kindergeld sei. Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, dass sie das gesamte Kindergeld von 154 EUR monatlich für ihre Tochter verbraucht habe.
Entscheidung
Nach Auffassung des FG hat die FK, soweit sie das Kindergeld in Höhe von 77 EUR an den Sozialleistungsträger abgezweigt hat, das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Ob und in welcher Höhe das Kindergeld an eine andere Person oder Stelle abgezweigt wird, steht nach § 74 Abs. 1 EStG im Ermessen der Familienkasse ("kann"). Der Ansatz fiktiver Kosten ist ausgeschlossen, so dass bei der Berechnung der Aufwendungen der Eltern für die Besuche des Kindes im Behindertenheim eine Anlehnung an den Sozialhilferegelsatz ausscheidet. Der Umstand, dass die FK das Kindergeld bereits an den Sozialleistungsträger ausgezahlt hat, stellt keine zulässige Ermessenserwägung hinsichtlich der Höhe des Abzweigungsbetrages dar, wenn der Kindergeldberechtigte gegen die Abzweigung rechtzeitig Einspruch erhoben hatte und die Möglichkeit bestanden hätte, das Kindergeld vorläufig einzubehalten.
Hinweis
Die NZB der Klägerin war erfolgreich und der BFH muss nun in dem Verfahren III R 41/12 die Frage entscheiden, in welcher Höhe eine pauschale Abzweigung von 50 % des Kindergeldes ermessensgerecht ist, wenn aufgrund detaillierter Berechnung Unterhaltsaufwendungen in Höhe von 92,13 % festgestellt worden sind? In vergleichbaren Fällen sollte daher unter Hinweis auf das o. a. Verfahren gegen die Abzweigung Einspruch eingelegt, und auf das Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 AO verwiesen werden.
Link zur Entscheidung
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.12.2010, 5 K 419/08