Khai Tran, Felix Navratil
Mitte 2019 begann die Geschäftsführung damit, neue strategische Optionen zu evaluieren. Wesentliches Element der zukünftigen Ausrichtung sollte die stärkere Unabhängigkeit vom konventionellen Kantinenbetrieb sein. Bereits in den Jahren zuvor wurde die Entwicklung der Dienstleistung rund um die Auslieferung von Speisen an Privathaushalte interessiert beobachtet. In einer strategischen Planungsrunde ("Campus") wurden im erweiterten Führungskreis mit Vertretern sämtlicher Abteilungen unterschiedliche Alternativen durchgerechnet und diskutiert:
- "Gourmet-Essen auf Rädern" für Seniorenresidenzen, d. h. eine mittlere Anzahl von Kunden mit jeweils mittleren Abnahmemengen, hohen Materialkosten und langfristig planbarem Bedarf.
- Schaffung eines auf regionale Speisen spezialisierten Lieferdienstes, d. h. eine hohe Anzahl von über das gesamte Stadtgebiet verteilten Abnehmern mit kleinen Abnahmemengen, mittleren Materialkosten und stark fluktuierendem Bestellaufkommen.
- "Virtuelle Kantine" für kleinere Unternehmen ohne eigenes Betriebsrestaurant, d. h. eine mittlere Anzahl von Abnehmern mit mittleren Abnahmemengen, mittleren Materialkosten und fluktuierendem – aber trotzdem einigermaßen prognostizierbarem – Bestellaufkommen.
Hierfür wurde die Simulationssoftware der Firma Valsight verwendet. Das bestehende strategische Simulationsmodell (s. Abb. 3) wurde in diesem Zusammenhang erweitert, um die Aufwände der unterschiedlichen Alternativen (Einkauf, Zubereitung, Auslieferung) sowie deren Auswirkungen auf den Deckungsbeitrag einer einzelnen ausgelieferten Mahlzeit zu ermitteln. Um dies zu erreichen, wurden im Szenario-Manager Annahmen über die zukünftige Ausprägung sämtlicher wesentlicher Einflussfaktoren der neuen Geschäftsmodelle eingegeben und den unterschiedlichen Szenarien zugeordnet.
Anschließend wurden unterschiedliche Szenarien gemeinsam simuliert und diskutiert, mit dem Ergebnis, dass das Konzept "Virtuelle Kantine" in puncto Deckungsbeitrag, Volatilität und initialem Investment als sinnvolle Alternative ausgewählt wurde. Es wurde entschieden, das neue Geschäftsmodell zunächst in einem Pilotprojekt in Berlin zu starten und die Mahlzeiten in der Kantine eines lokalen Kunden zuzubereiten. Ein IT-Unternehmen in Osteuropa bekam den Auftrag zur Entwicklung einer App, mit der sowohl der Bestell- und Abrechnungsprozess als auch das Routing der Auslieferung abgebildet werden sollte. Die notwendigen Fahrzeuge wurden für den Testzeitraum monatsweise angemietet und die Fahrer sowie zusätzlich benötigtes Küchenpersonal über eine Leiharbeitsfirma beauftragt.
Abb. 3: Treibermodell zur Simulation des neuen Geschäftsmodells in Valsight