Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Ein verbleibender Verlustvortrag ist auch dann erstmals gem. § 10d Abs. 4 S. 1 EStG gesondert festzustellen, wenn der ESt-Bescheid für das Verlustentstehungsjahr zwar bestandskräftig ist, darin aber keine nicht ausgeglichenen negative Einkünfte berücksichtigt worden sind (Änderung der Rechtsprechung).
Normenkette
§ 10d EStG
Sachverhalt
Das FA setzte die ESt unseres Herrn K für das Jahr 2001 (bestandskräftig) auf 0 DM fest (Gesamtbetrag der Einkünfte 0). 2004 beantragte K die Feststellung des Verlustvortrags für 2001, weil er eine Pilotenausbildung absolviert hatte. Deshalb seien vorab entstandene Werbungskosten zu berücksichtigen.
Das FG (FG Düsseldorf, Urteil vom 16.08.2006, 16 K 5362/05 F, Haufe-Index 1748398) meinte, die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags sei nicht zulässig, weil der ESt-Bescheid 2001 nicht mehr geändert werden könne.
Entscheidung
Zu Unrecht, wie sich aus den Praxishinweisen ergibt. Deshalb musste der BFH die Vorentscheidung aufheben. Er konnte aber nicht selbst zur Sache entscheiden. Denn es musste noch die Höhe der als Werbungskosten geltend gemachten Aufwendungen festgestellt werden.
Hinweis
1. Nach § 10d Abs. 4 S. 1 EStG ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag getrennt nach Einkunftsarten gesondert festzustellen. Verbleibender Verlustvortrag sind die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte, vermindert um die nach Abs. 2 abziehbaren Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden Verlustvortrag (§ 10d Abs. 4 S. 2 EStG). Soweit die materiell-rechtliche Bestimmung dessen, was als Verlustvortrag verbleibt.
2.§ 10d Abs. 4 S. 4 EStG enthält neben S. 1 das dazugehörige Verfahrensrecht. Danach sind Feststellungsbescheide u.a. zu erlassen, soweit sich die nach S. 2 zu berücksichtigenden Beträge ändern und deshalb der entsprechende Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist.
3. Welche Bedeutung hat es nun, wenn der ESt-Bescheid des Verlustentstehungsjahrs bestandskräftig ist? Muss man dann aus § 10d Abs. 4 S. 4 EStG folgern, dass dann auch kein erstmaliger Feststellungsbescheid zu erlassen ist, weil ja der entsprechende Steuerbescheid (das ist der ESt-Bescheid des Verlustentstehungsjahrs) wegen seiner Bestandskraft nicht geändert werden kann? Diese Frage stellte sich dem BFH in dem vorliegenden Grundsatzurteil nicht in ihrer ganzen Dimension. Denn der Fall, über den der BFH zu entscheiden hatte, wies eine Besonderheit auf: Im ESt-Bescheid des Verlustentstehungsjahrs waren keine nicht ausgeglichenen Einkünfte berücksichtigt worden.
4.§ 10d Abs. 4 S. 4 EStG ist in diesem Fall unanwendbar: Es ändern sich nämlich die Beträge nicht, von denen wir unter 2. gesprochen haben und deren Änderung die Voraussetzung dafür ist, § 10d Abs. 4 S. 4 EStG überhaupt anzuwenden. Nach dem Wortlaut des § 10d Abs. 4 S. 4 EStG gehören zu den "nach S. 2 zu berücksichtigenden Beträgen" i.S.d. § 10d Abs. 4 S. 4 EStG nicht der Gesamtbetrag der Einkünfte, sondern die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte. Im bestandskräftigen ESt-Bescheid war aber nur ein Gesamtbetrag der Einkünfte von 0, nicht aber nicht ausgeglichene negative Einkünfte berücksichtigt worden. Waren sie aber gar nicht vorhanden, können sie sich auch nicht geändert haben.
5. Folge: §10d Abs. 4 S. 4 EStG ist nicht anwendbar. Es kommt also nicht darauf an, ob der ESt-Bescheid noch geändert werden kann: Der verbleibende Verlustvortrag ist direkt über § 10d Abs. 4 S. 1 EStG festzustellen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.09.2008 – IX R 70/06