Leitsatz
1. Der Erbe kann einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug nach § 10d EStG nicht bei seiner eigenen Veranlagung zur ESt geltend machen. Jedoch ist die bisherige gegenteilige Rechtsprechung des BFH aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin in allen Erbfällen anzuwenden, die bis zum Ablauf des Tags der Veröffentlichung dieses Beschlusses eingetreten sind.
2. Da der Große Senat des BFH die vorgelegte erste Rechtsfrage im Grundsatz verneint hat, erübrigt sich eine Stellungnahme zu der vom vorlegenden Senat nur hilfsweise gestellten zweiten Rechtsfrage.
Normenkette
§ 10d EStG, Art. 20 Abs. 3 GG
Sachverhalt
Der Kläger ist der alleinige Hoferbe seines 1983 verstorbenen Vaters. Sein Erbteil am hoffreien Vermögen betrug 10 %. Die beim Erblasser nicht ausgeglichenen Verluste betrugen 90 734 DM. Das FA erkannte davon beim Kläger in den Jahren 1983 bis 1985 einen Betrag von 32 050 DM an.
Im Streitjahr 1986 berücksichtigte es beim Kläger mit der Begründung keinen Verlustvortrag mehr, dass dieser nur 10 % der vom Erblasser nicht verbrauchten Verluste habe abziehen dürfen.
Der Kläger machte geltend, dass der Verlustvortrag ihm als dem Hoferben allein zustehe.
Das FG wies die Klage ab (EFG 1999, 1221).
Entscheidung
Wegen der Entscheidung des Großen Senats über den Vorlagebeschluss wird auf die Ausführungen in den Praxis-Hinweisen und auf die Leitsätze verwiesen.
Hinweis
1. § 10d EStG ermöglicht unter den dort bezeichneten Voraussetzungen eine interperiodische Verrechnung von Verlusten, die im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung nicht ausgeglichen werden konnten. Während der Reichsfinanzhof den Verlustvortrag nicht für vererblich gehalten hatte, ist der BFH seit dem Jahr 1962 von der Vererblichkeit ausgegangen (Urteil vom 22.06.1962, VI 49/61, BStBl III 1962, 386). Die Finanzverwaltung hatte sich dieser Auffassung angeschlossen.
2. Aufgrund dieses Einvernehmens gab es zwischen den Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung keine Streitigkeiten über die Vererblichkeit des Verlustvortrags dem Grunde nach. Auch in dem Verfahren, das dem vorliegenden Beschluss zugrunde liegt, war die Vererblichkeit des Verlustvortrags des Erblassers dem Grunde nach zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Umstritten war allein, zu welcher Quote der Verlustvortrag des Erblassers einerseits auf den Kläger als Hoferben (Sondererbfolge) und andererseits auf die übrigen Erben (Erbengemeinschaft) übergegangen war.
Der XI. Senat des BFH war der Auffassung, der Verlustvortrag sei abweichend von der Auffassung der Beteiligten und der bisherigen Rechtsprechung nicht vererblich. Er fragte deshalb beim Großen Senat an, ob der Erbe einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlust bei seiner eigenen Veranlagung geltend machen kann (Beschluss vom 28.07.2004, XI R 54/99, BFH-PR 2005, 54).
3. Der Verlustvortrag nach § 10d EStG resultiert aus einem Überschuss der Erwerbsaufwendungen über die im selben Besteuerungsabschnitt erzielten Erwerbsbezüge. Im ESt-Recht ist nur der vom Steuerpflichtigen selbst erbrachte Aufwand und nicht der Aufwand eines Dritten abziehbar. Der Erblasser und der Erbe sind verschiedene Rechtssubjekte, die jeweils für sich zur ESt herangezogen und deren Einkünfte getrennt ermittelt werden. Deshalb liefe die Vererblichkeit des Verlustvortrags im wirtschaftlichen Ergebnis auf eine unzulässige Abziehbarkeit von Drittaufwand hinaus.
Für die Vererblichkeit spricht auch nicht, dass der Erbe für die Schulden des Erblassers haftet (§ 1967 Abs. 1 BGB i.V.m. § 45 AO). Denn nach einhelliger Meinung gehen höchstpersönliche Verhältnisse und unlösbar mit der Person des Rechtsvorgängers verknüpfte Umstände nicht auf den Gesamtrechtsnachfolger über. Der Verlustvortrag ist eine unlösbar mit der Person des Beziehers der Einkünfte verbundene Besteuerungsgrundlage (§ 157 Abs. 2 AO). Ob und inwieweit ein Verlustvortrag sich beim Steuerpflichtigen in der Zukunft auswirkt, hängt von der Höhe seiner späteren Einkünfte ab. Dementsprechend kann der Verlustvortrag weder für sich genommen noch in Verbindung mit der die Verluste verursachenden Einkunftsquelle (z.B. Betrieb) durch (unentgeltliches) Rechtsgeschäft unter Lebenden übertragen werden. Dagegen sind Schulden im Grundsatz verkehrsfähige negative Wirtschaftsgüter.
Eine Vererblichkeit lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass nach § 24 Nr. 2 EStG Einkünfte aus einer Tätigkeit oder einem Rechtsverhältnis des Erblassers vom Erben zu versteuern sind, wenn sie diesem "zufließen". Diese Regelung bezieht sich nur auf Überschusseinkünfte (§ 11 EStG). Sie betrifft den Fall, dass der Erblasser einen Teil des gesetzlichen Tatbestandes erfüllt hat, der für die vollständige Tatbestandsverwirklichung erforderliche Zufluss der Einnahmen jedoch erst beim Rechtsnachfolger (Erben) eingetreten ist (sog. gespaltene Tatbestandsverwirklichung). Dagegen setzt sich der nicht ausgenutzte Verlustabzug aus Einkünften zusammen, deren Tatbestand ausschließlich und abschließend vom Erblasser verwirklicht worden ist.
Bei § 6 ...