Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Ein nach Ergehen der (Teil-)Einspruchsentscheidung und innerhalb der Klagefrist gestellter Antrag auf schlichte Änderung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Satz 2 und Satz 3 Halbsatz 1 AO ist auch dann zulässig, wenn mit ihm lediglich die erneute Überprüfung einer Rechtsfrage begehrt wird, über die in der Einspruchsentscheidung bereits entschieden worden ist (Abkehr vom BFH-Beschluss vom 05.02.2010 – VIII B 139/08, BFH/NV 2010, 831).
2. Die Finanzierungskosten für den Erwerb einer Sicherheits-Kompakt-Rente, die den Abschluss einer Rentenversicherung als Versorgungskomponente und einer Lebensversicherung als Tilgungskomponente zum Gegenstand hat, sind auch nach der Einführung des Werbungskostenabzugsverbots nach § 20 Abs. 9 EStG zum 01.01.2009 aufzuteilen in Werbungskosten, die anteilig den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 EStG und den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG zuzuordnen sind (Anschluss an BFH-Urteil vom 11.12.2018 – VIII R 7/15, BFHE 263, 216, BStBl II 2019, 231).
Normenkette
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, § 351 Abs. 1 AO, § 9 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 9, § 22 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
Die Kläger schlossen in den Jahren 1998 bis 2000 Verträge über sog. Sicherheits-Kompakt-Renten ab. Hierbei handelte es sich um Sofortrentenversicherungen, die gegen Leistung von Einmalzahlungen abgeschlossen wurden. Gleichzeitig wurden vier Tilgungsversicherungen gegen Einmalzahlung abgeschlossen, deren Ablaufleistungen bei Fälligkeit zur Rückzahlung der Darlehen verwendet werden sollten. Bei den Tilgungsversicherungen handelte es sich um Lebensversicherungen, die als Versicherungsfall den Tod der Kläger bestimmten. Die Einmalzahlungen wurden zum Teil über Darlehen und zu einem geringeren Teil über Eigenkapital der Kläger finanziert. Die Tilgung der Darlehen wurde bei Vertragsschluss ausgesetzt und sollte durch die Schlusszahlungen aus den Lebensversicherungen erfolgen. Die Darlehenszinsen sollten aus den Renten bezahlt werden. Zur Sicherheit traten die Kläger ihre Zahlungsansprüche aus den Renten- und den Lebensversicherungen an die Darlehen gebenden Banken ab. Nach Tilgung der Darlehen sollten die Renten den Klägern frei zur Verfügung stehen.
Bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2008 wurden bei der Einkommensteuerveranlagung antragsgemäß die Zinsaufwendungen für die Darlehen aufgeteilt und jeweils anteilig als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S.d. § 22 EStG und bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 EStG berücksichtigt. Die Aufteilung richtete sich danach, inwieweit die Darlehen zur Finanzierung der jeweiligen Einmalzahlung verwendet worden waren.
In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2009 bis 2011 erklärten die Kläger die gesamten Zinsaufwendungen für die Finanzierung der SKR als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S.d. § 22 EStG. Das FA folgte dem nicht und legte die Finanzierungsaufwendungen für die SKR-Rente – entsprechend dem Aufteilungsverhältnis der Vorjahre – lediglich anteilig als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S.d. § 22 EStG zugrunde. Eine Berücksichtigung der Werbungskosten bei den Kapitaleinkünften erfolgte nach § 20 Abs. 9 EStG nicht. Das FA lehnte die hiergegen erhobenen Einsprüche für die Streitjahre mit Teil-Einspruchsentscheidung ab.
Für das Streitjahr 2009 beantragten die Kläger, die Teil-Einspruchsentscheidung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO dahingehend zu ändern, dass die Finanzierungskosten der Tilgungsversicherung vollständig als Werbungskosten bei den Renteneinkünften i.S.d. § 22 EStG berücksichtigt werden. Dies lehnte das FA nach Erlass eines Änderungsbescheids zugunsten der Kläger ab, da über Tatsachen- und Rechtsfragen, über die bereits in einem Einspruchsverfahren entschieden worden sei, nicht nochmals aufgrund eines Änderungsantrags nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu entscheiden sei. Den hiergegen erhobenen Einspruch lehnte das FA ab.
Das FG hat die hiergegen erhobene Klage für das Streitjahr 2009 abgewiesen und der Klage für die Streitjahre 2010 und 2011 stattgegeben (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.6.2017, 5 K 11174/15, Haufe-Index 11109727, EFG 2017, 1404).
Entscheidung
Der BFH hat der Revision der Kläger für das Streitjahr 2009 und der Revision des FA für die Streitjahre 2010 und 2011 stattgegeben und den Rechtsstreit an das FG zurückverwiesen.
Hinweis
1. Verfahrensrechtlich war die Ausgangslage in Bezug auf das Streitjahr 2009 etwas "verzwickt". Der Änderungsantrag der Kläger auf Überprüfung der Teil-Einspruchsentscheidung für das Jahr 2009 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO hatte sich durch den danach erfolgten Erlass des Einkommensteueränderungsbescheids erledigt. Da es für das Korrekturverfahren keine dem § 365 Abs. 3 AO entsprechende Vorschrift gibt, wurde der Änderungsbescheid nicht zum Gegenstand des noch nicht abgeschlossenen Korrekturverfahrens.
2. Das FA hat jedoch durch den gleichzeitig erlassenen Ablehnu...