Leitsatz
Die nachträgliche Kenntnis des Finanzamts über den Bezug einer Halbewaisenrente lässt sich zwar allenfalls als nachträgliches Bekanntwerden neuer Tatsachen würdigen; im Kindergeldrecht ergibt sich aber eine Rückwirkung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO auf Grund der von der Familienkasse (FK) zu treffenden Prognose, die durch die tatsächlich erzielten Einkünfte ersetzt wird.
Sachverhalt
Die Klägerin erhielt Kindergeld für ihren im Jahr 1983 geborenen Sohn. Nach dem der FK bekannt wurde, dass der Sohn auch eine Waisenrente bezogen hat, welche dazu führte dass die Einkünfte und Bezüge den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten, hat die FK die Kindergeldfestsetzungen ab dem Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahrs nach § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben. Mit ihrer Klage vertritt die Klägerin die Auffassung, dass eine Rückforderung des Kindergelds nicht möglich sei, da keine neue Tatsache i. S. v. § 173 AO vorliege.
Entscheidung
Zunächst hat das FG ausgeführt, dass die für eine Änderung der Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 4 EStG 2002 notwendige Prognose der Einkünfte und Bezüge eines Kinds im laufenden Kalenderjahr nicht voraussetzt, dass die FK eine Berechnung erstellt und diese dokumentiert hat. § 70 Abs. 4 EStG a. F. kommt jedoch nicht als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Kindergeldbescheide bis einschließlich 2003 in Betracht. Für 2001 folgt dies daraus, dass § 70 Abs. 4 EStG a. F. noch nicht in Kraft getreten war und nicht rückwirkend galt. Für die Jahre 2002 und 2003 liegen zwar die Voraussetzungen des § 70 Abs. 4 EStG a. F. vor; jedoch war bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Das FG hat jedoch entschieden, dass für die Jahre 2001 bis 2003 eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach § 175 Abs. 2 AO bzw. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO möglich ist. Dies gilt nicht nur für das Jahr 2001, sondern auch für die Jahre 2002 und 2003, da in diesen beiden Jahren § 175 AO neben dem bereits in Kraft getretenen § 70 Abs. 4 EStG a. F. anwendbar blieb. Verjährung ist für diese Jahre wegen der Anlaufhemmung nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO nicht eingetreten.
Hinweis
Das rechtskräftige Urteil macht deutlich, wie schwierig die verfahrensrechtlichen Fragen zur Änderung bzw. Aufhebung von Kindergeldfestsetzungen sind. Durch den Wegfall der Einkünfte- und Bezügegrenze ab 1.1.2012 ist diese Problematik jedoch wesentlich entschärft worden.
Link zur Entscheidung
FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.09.2013, 6 K 8188/09