Leitsatz
Eine ärztliche Notfallpraxis ist kein häusliches Arbeitszimmer i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG, selbst wenn sie mit Wohnräumen des Arztes räumlich verbunden ist. Als Notfallpraxis sind dabei Räume zu verstehen, die erkennbar besonders für die Behandlung von Patienten eingerichtet und für jene leicht zugänglich sind.
Normenkette
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG
Sachverhalt
Ein Arztehepaar, das in der Ortsmitte eine Gemeinschaftspraxis betrieb, hatte in seinem Einfamilienhaus am Ortsrand einen Kellerraum zur Behandlung von Patienten hergerichtet. Der Raum konnte auch durch einen separaten Außeneingang erreicht werden.
Das Ehepaar gab gegenüber dem FA an, den Kellerraum sowie eine anliegende "Patiententoilette" während der Bereitschaftsdienste als Notfallpraxis genutzt zu haben, und machte für das Streitjahr 1997 die anteiligen Gebäudekosten einschließlich der AfA von insgesamt 6.421 DM als Betriebsausgaben der Arztpraxis geltend. Das FA war der Meinung, es handle sich um ein "häusliches Arbeitszimmer", für das ein Betriebsausgabenabzug weder ganz noch anteilig zulässig sei.
Entscheidung
Nachdem das FG die Klage abgewiesen hatte, war die Revision erfolgreich. Der BFH verwies das Verfahren an das FG zurück. Eine Notfallpraxis falle nicht unter die Abzugsbeschränkung für häusliche Arbeitszimmer. Es müsse aber noch festgestellt werden, in welchem Umfang die betreffenden Räume ggf. auch außerbetrieblich genutzt worden seien.
Hinweis
1. Seit 1996 können Aufwendungen für sog. häusliche Arbeitszimmer nur noch beschränkt oder gar nicht mehr als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden. Grund dafür waren die Schwierigkeiten der Finanzämter, den Umfang der Nutzung von Räumen zu überprüfen, die innerhalb der Wohnung des Steuerpflichtigen für betriebliche oder berufliche Zwecke genutzt werden. Der Gesetzgeber sah zur Verhinderung missbräuchlicher Inanspruchnahme des Betriebsausgaben- bzw. Werbungskostenabzugs schließlich keine andere Möglichkeit mehr, als den Abzug in den meisten Fällen ganz zu versagen. Nur wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht oder wenn die betreffende Nutzung mehr als 50 % der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit ausmacht, ist ein Abzug noch möglich. Dieser ist allerdings auf 1250 Euro pro Jahr beschränkt, wenn nicht das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit bildet (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG).
2. Die Regelung greift nur bei Räumen, die "häusliches Arbeitszimmer" i.S.d. Gesetzes sind. Der Gesetzgeber hat auf eine ausdrückliche Definition verzichtet. Deshalb musste der BFH den Inhalt des Begriffs klären. Dies ist mit der Grundsatzentscheidung vom 19.9.2002, VI R 70/01 (BStBl II 2003, 139, BFH-PR 2003, 88) geschehen. Häusliches Arbeitszimmer ist danach ein Raum, der seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist und vorwiegend der Erledigung gedanklicher, schriftlicher oder verwaltungstechnischer/-organisatorischer Arbeiten dient. Im Wohnhaus des Steuerpflichtigen befindliche Räume, die betrieblich oder beruflich genutzt werden, sind danach kein häusliches Arbeitszimmer, wenn sie nach Ausstattung und Funktion andersartigen Tätigkeiten dienen oder wenn sie nicht in die "häusliche Sphäre" integriert sind. Eine erste Entscheidung zur Ausstattung und Funktion eines Raums hat der BFH in seinem Urteil vom 16.10.2002, XI R 89/00 (BFH-PR 2003, 132) getroffen, in dem ein Tonstudio zu beurteilen war. Das hiesige Urteil zur Notarztpraxis ist die zweite Entscheidung zu dieser Frage.
Ein Raum, der mit Einrichtungsgegenständen zur Behandlung von Patienten ausgestattet ist, entspricht bereits nicht dem Bild des für Büroarbeiten genutzten Arbeitszimmers, auf das der BFH in seinem erwähnten Urteil vom 19.9.2002 abgestellt hat. Hinzu kommt, dass die ärztliche Tätigkeit immer Publikumsverkehr erfordert. Insofern unterscheiden sich Räume für ärztliche Tätigkeit generell von Räumen für andere freiberufliche Tätigkeiten, die auch ohne Publikumsverkehr ausgeübt werden können. Selbst wenn kein besonderer Patientenzugang zu einem speziell für Behandlungen ausgestatteten Raum existiert, ist der Raum deshalb kein "häusliches Arbeitszimmer".
3. Unterliegen die Kosten für einen betrieblich oder beruflich genutzten Raum nicht der Abzugsbeschränkung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG, gelten für den Abzug als Betriebsausgaben oder Werbungskosten aber zumindest die allgemeinen Grundsätze für den Abzug solcher Aufwendungen. Das bedeutet, dass nach der Rechtsprechung zu § 12 Nr. 1 EStG ein Abzug nur möglich ist, wenn der Raum ausschließlich oder nahezu ausschließlich betrieblich/beruflich genutzt worden ist. Hierzu weist der BFH darauf hin, dass Zeiten der Nichtnutzung eines Behandlungsraums nicht als außerbetrieblich anzusehen sind.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 5.12.2002, IV R 7/01