Dr. Mario Stephan, Marco Maisenbacher
Für lange Zeit wurde die Lösung in der vollständigen Vernetzung der einzelnen Modelle gesehen. Ziel war (und ist es im Kern immer noch) den Output eines algorithmischen Modells als Input für ein anderes algorithmisches Modell zu nutzen, dessen Output seinerseits anderen algorithmischen Modellen als Eingabewert dient. Die Vision war es, nicht einfach bestehende Prozesse mit Technologie anzureichern, sondern von Grund auf alle denkbaren algorithmischen Modelle zu vernetzen und alle organisatorischen Strukturen und Prozesse, um das Geflecht aus Algorithmen herum zu bauen. Dies würde in der finalen Ausbaustufe ein "Algorithmic Target Operating Model" (kurz: ATOM) einer Funktion oder eines Gesamtunternehmens erzeugen.
Das Grundsatz eines ATOMs ist es, wegzukommen von der fragmentierten Steuerung isolierter digitaler Anwendungsfälle. Es geht hin zu einem integrierten und vernetzten System aus mehreren Modellen, die als Einheit agieren. Mit anderen Worten: Anwendungsfälle wie z. B. Vorhersagemodelle sollten nicht isoliert genutzt werden, sondern andere Simulations-, Entscheidungs- und/oder Optimierungsmodelle speisen und mit diesen interagieren. Erst dann entfalten sie ihren maximalen Wert (siehe Abb. 2).
Abb. 2: ATOM Framework
In der Praxis wurde nach Kenntnis der Autoren jedoch noch zu keinem Zeitpunkt ein vollständiges, allumfassendes ATOM aufgebaut. Stattdessen hat der evolutionäre Weg zum Zielbild zu unterschiedlichen Stoßrichtungen i. S. zu optimierender Größen geführt. Heute sind zahlreiche sogenannte ATOM-Initiativen unterscheiden. Jede ATOM-Initiative kombiniert dabei (im Sinne eines Partialmodells) unterschiedliche Einzelmodelle im Hinblick auf die zu optimierende Ergebnis- oder Outputgröße.
Im folgenden Projektbeispiel werden verschiedene, quasi-standardisierte ATOM-Initiativen mit ihren jeweiligen Optimierungszielen gelistet.
Abb. 3: Beispiele von ATOM-Initiativen
Die Umsetzung einer ATOM-Initiative erfordert i. d. R. eine umfassende Zusammenarbeit zwischen verschiedenen (Fach-)Bereichen. Aus Sicht des Finanzbereichs werden drei Kooperationsmodelle oder Zusammenarbeitsbereiche unterschieden.
- Nur innerhalb Finanzen: Trivialere ATOM-Initiativen wie "Intelligentes GuV Reporting" oder "Intelligente Finanzprozessautomatisierung" werden ausschließlich von der Finanzabteilung betrieben. Das Ziel dieser Initiativen ist es, die Kernprozesse im Finanzbereich zu verbessern. Sie benötigen daher keine weiteren Verbindungen zu verwandten Geschäfts-/Servicefunktionen.
- Getrieben von Finanzen: ATOM-Initiativen wie "Cashflow-Optimierung" oder "Effiziente GuV-Steuerung" konzentrieren sich auf die Verbesserung der gesamten Finanzprozesse. Um ihr volles Potenzial auszuschöpfen, müssen zusätzliche Input/Output-Verbindungen zu anderen Geschäfts-/Servicefunktionen berücksichtigt werden. Dieser Ansatz erfordert ein Kollaborationsmodell, das durch das Finanzwesen innerhalb der Organisation betrieben wird und in der der Finanzbereich ein koordinierender Partner ist.
- Finanzen als Business Partner: Dieses Kollaborationsmodell erfordert den höchsten Grad an organisatorischer Abstimmung und kommt immer dann zum Einsatz, wenn algorithmische Module darauf abzielen, zentrale End-2-End Geschäftsprozesse zu verbessern. Beispiele sind die ATOM-Initiativen "Sales Up", die sich auf die Verbesserung der Treiber im Vertrieb für präzisere Nachfrageprognosen, Preisgestaltung und Umsatzmarge konzentrieren sowie "Procurement Effectiveness" zur Verbesserung der Treiber für Materialkosten. Um das volle Potenzial eines End-2-End-Ansatzes zu erreichen, fungiert das Finanzwesen als ein Element in der ganzheitlichen Prozessbetrachtung und steuert die Modellentwicklung über Prozess- und Bereichsgrenzen hinweg.
Für die Controller am naheliegendsten bleiben naturgemäß die ATOM-Initiativen aus dem Finanzbereich. Die Kollaborationsmodelle sind aber auch auf andere Geschäfts-/Servicefunktionen und ihre algorithmischen Anwendungsfälle anwendbar. Insbesondere in produktionsintensiven Unternehmen haben sich zahlreiche Einzelanwendungsfälle zwischen der Produktionssteuerung und den vor- und nachgelagerten Prozessen etabliert.
Abb. 4: Beispiele von ATOM-Initiativen nach Kooperationsform