Dr. Rolf Gegenmantel, Peter Strohm
3.1 Gründe für Vertragskündigungen ermitteln und Kündigungstermine möglichst exakt prognostizieren
ServiceMaster setzt seit über drei Jahren die Jedox-Software für Planung, Analyse und das interne und externe Reporting ein. 2019 hat ServiceMaster ein Pilotprojekt mit der KI-Funktionalität von Jedox umgesetzt, um die Loyalität der Kunden zur Marke Terminix besser beurteilen zu können. Dabei sollten nicht nur die reinen Finanzkennzahlen betrachtet sondern auch die HR- und Marketing-Perspektive in die Analysen einbezogen werden.
Die wichtigsten Ziele des Projekts waren,
- die künftigen Verhaltensweisen der Kunden vorherzusagen,
- zu ermitteln, welche Kunden wann kündigen werden,
- eine Verbesserung vor allem bei der Vorhersagegenauigkeit zu erreichen,
- geeignete Maßnahmen zur Vermeidung von Kündigungen abzuleiten,
- Maßnahmen zielgerichtet an kündigungswillige Kunden zu richten und
- Maßnahmen zur weiteren Erhöhung der Kundenbindung zu entwickeln.
Um die Ergebnisse für das Marketing und den Vertrieb handhabbar zu machen, sollten die kündigungsbereiten Kunden mit einem Vorlauf von drei Monaten ermittelt werden. Bei der Analyse sollte zudem berücksichtigt werden, dass sich die Kündigungsgründe im Zeitablauf verändern können. Deshalb sollte die Klassifikation (Churn oder no Churn) monatlich wiederholt werden.
3.2 Große Vielfalt potenzieller Kundenvariablen als größte Herausforderung
Welche Faktoren haben einen Einfluss auf die Kundenloyalität? Zur Untersuchung der Kundenloyalität sind die Methoden von Machine Learning (ML) generell gut geeignet. Die Analyse soll ein Klassifikationsproblem lösen, also die Unterscheidung von Kunden, die kündigen oder nicht kündigen werden (Churn oder no Churn). Außerdem sind historische Daten in großer Menge vorhanden, die bereits klassifiziert sind (Kündigungen bzw. fortgeführte Verträge).
In einer ersten Übersicht stellte ServiceMaster mehr als 50 Merkmale zusammen, die eine Rolle bei der Kundenloyalität spielen könnten. Dazu gehörten u. a. die Vielzahl unterschiedlicher Franchise- oder Servicepartner, private oder gewerbliche Kunden, die unterschiedlichen Standorte, geografische und klimatische Verhältnisse, die Anwendungsmethoden, Kundenmerkmale wie die Dauer der Kundenbeziehung als auch unterschiedliche Vertragskonditionen bei Kündigungsfristen, Zahlungsmethoden und -terminen.
Die Umsetzung von mehr als 50 Merkmalen in Algorithmen hätte das Projekt allerdings unnötig komplex und aufwendig gemacht. Deshalb wurden in einer Voruntersuchung die Top Ten der einflussreichsten Merkmale ermittelt. Dabei stellten sich etliche Faktoren als vergleichbare Duplikate heraus, beispielsweise bei den Vertragsdetails. Andere Elemente, bspw. die Region, wurden durch die Feature Selection Services untersucht, hatten aber keinen Einfluss auf das Kundenverhalten.
3.3 Die wichtigsten Schritte zur Umsetzung des KI-Projekts
Die wichtigsten Voraussetzungen für die KI-Analysen waren damit erfüllt. Die Methode von Machine Learning war geeignet und die Menge der nutzbaren Daten war ausreichend groß. Jetzt folgten die nächsten Schritte:
Data Preprocessing & Integration:
- Datenquellen identifizieren: Aus den historischen Finanzdaten und aus weiteren externen Quellen mussten ausreichend Fälle für das Training von ML verfügbar gemacht werden. Erst ab einer Mindestmenge an Daten kann die Vielfalt an Merkmalskombinationen wie Servicepartner, Vertragsdauer und Vertragskonditionen sinnvoll getestet werden.
- Daten integrieren: Es wurde ein großer Datenbestand aus Kundenverträgen in Jedox aufgebaut und mit weiteren Daten angereichert. Für die Integration von weiteren Datenquellen aus CRM- und ERP-Systemen oder von externen Marktdaten, Wetterinformationen usw. verfügt Jedox über fertige Integrations-Tools.
- Daten bereinigen: Bei der Kontrolle der Daten mussten fehlende Angaben beispielsweise bei den Vertragsangaben ergänzt werden. Duplikate bei Vertragsnummern, falsche Daten und Ausreißer wurden entfernt (Data Cleansing).
- Ausreißer Analyse & Behandlung: Fehlende Datenpunkte wurden identifiziert, Ausreißer entfernt und die Daten normalisiert.
- Treiber auswählen: Durch Featureselektion wurden die wichtigsten Merkmale ermittelt, die einen signifikanten Einfluss auf die Kundenloyalität haben.
- Vorgefertigte Algorithmen nutzen: Die in Jedox vorgefertigten Algorithmen u. a. zur Klassifikation wurden eingesetzt und das Machine Learning Model mit den historischen Daten trainiert.
- Ergebnis evaluieren: Die Prognose des Kundenverhaltens (Churn oder no Churn) wurde für eine Testgruppe umgesetzt, die bei der Treiberidentifikation nicht enthalten war.
- Kundenloyalität vorhersagen: Anschließend konnte ML zur Prognose des Kundenverhaltens mit einem fortlaufenden monatlichen Forecasting automatisiert umgesetzt werden, um das Kundenverhalten mit aktuellen Daten in "Echtzeit" vorherzusagen.
Abb. 4: Die wichtigsten Schritte zur Umsetzung eines KI-Projekts
Bei Projekten im Bereich künstlicher Intelligenz sind Auswahl und Qualität der Daten essentiell, daher erfordern die einzelnen Umsetzungsschritte im Normalfall einen deutlich unterschiedlichen Zeitaufwand. Für die ersten beiden Schritte sind etwa 80 % der Zeit erforderlich. Dabei umfasst die richtige Formatierung der Daten allein einen ...