Leitsatz
1. Für die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft nach § 13b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 UStG kommt es nicht auf die Verwendung einer gültigen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer durch den Leistungsempfänger an.
2. Die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft vom leistenden Unternehmer auf den Leistungsempfänger wirkt zu Gunsten des leistenden Unternehmers und führt zu einer den leistenden Unternehmer hinsichtlich der Voraussetzungen des § 13b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 1 UStG treffenden Feststellungslast. Eine Entscheidung auf Grundlage der Feststellungslast kann im finanzgerichtlichen Verfahren erst im Falle einer Unaufklärbarkeit des Sachverhalts getroffen werden.
Normenkette
§ 13b Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1, § 2 Abs. 1 UStG, Art. 196, Art. 44, Art. 9, Art. 10 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine GmbH, die durch Verschmelzung im Jahr 2018 Gesamtrechtsnachfolgerin der im Jahr 2015 (Streitjahr) im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmerin X, einer Kapitalgesellschaft nach ausländischem Recht, geworden ist. X betrieb einen Online-Marktplatz, auf dem sowohl Unternehmer als auch Endverbraucher Gegenstände zum Kauf anboten. Die Dienstleistungen der X bestanden darin, den Anbietern der Waren den Zugang und die Nutzung des Online-Marktplatzes zu gewähren, wofür X Gebühren von den Nutzern erhob, deren Höhe sich vornehmlich nach den Verkaufserlösen richtete.
Um die Dienstleistung von X in Anspruch zu nehmen und den Online-Marktplatz nutzen zu können, mussten sich die Leistungsempfänger zunächst registrieren und den allgemeinen Geschäftsbedingungen der X zustimmen. Bei dieser Registrierung mussten die Leistungsempfänger angeben, ob sie als Privatperson ("privates Konto") oder als Unternehmer ("gewerbliches Konto") den Marktplatz nutzen wollten. Standardmäßig wurden die Nutzer vom System als Privatpersonen (Nichtunternehmer) angelegt. Erfolgte eine Anmeldung als Unternehmer, mussten in der Eingabemaske Angaben zum Namen des Unternehmens, zum Unternehmenstyp (Branche), zur Rechtsform des Unternehmens, zu einer vorhandenen Handelsregisternummer, zur USt‐IdNr., zum Namen des gesetzlichen Vertreters des Unternehmens, zur Adresse des Unternehmens sowie zur Telefonnummer und zur E‐Mail-Adresse gemacht werden.
Kunden, die eine gültige USt‐IdNr. angaben, wurden als Unternehmer behandelt. Sofern eine angegebene USt‐IdNr. nicht mehr als gültig bestätigt wurde oder der Leistungsempfänger sich als gewerblicher Nutzer registrierte, aber keine oder eine ungültige USt‐IdNr. angab, prüfte und bejahte X nunmehr die Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers, wenn bei diesem eines von drei Kriterien zur Bejahung einer Unternehmereigenschaft vorlag. Insoweit stellte X darauf ab, ob der Leistungsempfänger im laufenden Jahr oder im Vorjahr entweder mehr als … Verkäufe tätigte oder getätigt hatte, ob (im gleichen Zeitraum) Leistungsentgelte ("Verkaufsgebühren") von mindestens … EUR entstanden waren oder ob sich der Leistungsempfänger auf einer besonderen Plattform (gewerbliche Plattform) angemeldet hatte, die gewerblichen Händlern vorbehalten war. Handelte es sich bei den Leistungsempfängern nach den von ihnen gemachten Angaben um eine im Inland ansässige Person und lag in Bezug auf diese Person eines der drei Kriterien vor, ging X von einer Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers gemäß § 13b Abs. 5 Satz 1 UStG aus.
Demgegenüber ging das FA davon aus, dass nur die Leistungsempfänger als Unternehmer zu behandeln seien, für die eine gültige USt‐IdNr. vorgelegen habe. Die drei von X angelegten Kriterien waren aus Sicht des FA nicht geeignet, die Unternehmereigenschaft der Leistungsempfänger anzunehmen.
Der von der Klägerin – als Gesamtrechtsnachfolgerin der X – erhobenen Klage gab das FG teilweise statt. X sei für die Leistungen an die im Inland ansässigen Empfänger, die sie aufgrund der drei Kriterien als Unternehmer angesehen habe, Steuerschuldnerin (§ 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG). Eine Umkehr der Steuerschuldnerschaft nach § 13b Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 UStG auf die Leistungsempfänger, die X aufgrund der drei Kriterien als Unternehmer angesehen habe, komme nicht in Betracht. Die Verwendung einer gültigen USt‐IdNr. sei zwar weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht notwendig, um den Leistungsempfänger als Unternehmer i.S.d. § 13b Abs. 5 Satz 1 UStG zu qualifizieren. Die Klägerin habe jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass diese Leistungsempfänger Unternehmer gewesen seien und ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland gehabt hätten. Zwar habe X für die Prüfung der Unternehmereigenschaft der Leistungsempfänger nachvollziehbare Merkmale entwickelt, die für eine Unternehmereigenschaft sprechen könnten. Allerdings seien die Leistungsempfänger für das FG nicht identifizierbar. Die Identität des Leistungsempfängers müsse feststehen, wenn von einer Person Qualifikationsmerkmale, wie die Unternehmereigenschaft, abhingen, und erst recht dann, wenn die...